Verehrte Gläubige!
Das Jahr 610 war aus jeder Sicht ein Wendepunkt im Leben unseres Propheten (s). Sein bescheidenes und unbekümmertes und unbesorgt fortdauerndes Leben sollte sich hiernach ändern; die notgeplagte und Qualvolle Lebensperiode sollte beginnen. Seine 3 Jahre andauernde heimliche Einladungsphase sollte mit der Bekehrung von Hamza (r) zum Islam enden. Die große Bewegung des Wandels und der großen Transformation, die in Mekka begann, sollte sich in kurzer Zeit in alle Richtungen der Welt ausbreiten.
Der Prophet hätte es natürlich nicht ahnen können, dass dies so sein sollte. Seine Einladung, die mit dem Motto „Es gibt keine Gottheit außer Allah“ begann, sollte mit Verleugnungs- und Repressionspolitik der führenden mekkanischen Gesellschaftsschicht begegnet werden. Vereinzelte Personen, die sich zum Islam bekehrten, sollten Folter und Massakern ausgesetzt werden. Jahre vergingen so. Gläubige wurden aus ihrer Heimat vertrieben, ihr Obdach und ihre Häuser wurden geraubt. Sie wurden getötet, dem Hunger und der Mittellosigkeit ausgesetzt. Sie verbrachten schwere und schwierige Zeiten, worin es ihnen so vorkam als ob es unter der Erde besser sei als auf der Erde. So wie frühere Gemeinschaften auf ihre Verbundenheit mit ihrem Glauben und mit der Wahrheit geprüft wurden, sind sie mit den schwierigsten Bedingungen des Lebens geprüft worden.
Nach einer jahrelang andauernden Einladungsphase in Mekka gab es nicht mehr als eine Hand voll Menschen, die sich bekehrten. Ganz Mekka verbarrikadierte sich und ertaubte förmlich. Mit der Hoffnung auf Widerhall auf seine Einladung ging er in die Stadt Taif. Jedoch wurde er dort einem schweren Angriff ausgesetzt. Mit Kind und Kegel, Frauen und Männern wurde unser Prophet (s) von der Bevölkerung Taifs einem Regen aus Stein ausgesetzt. Verwundet und verblutet konnte er sich schwer Zuflucht unter einem Baum verschaffen. Taif wurde zu einer vollen Enttäuschung für ihn. Nach kurzer Zeit verlor er seine Ehefrau, die die gößte Geldgeberin seiner Sache war. Er vereinsamte zunehmend. Während er sich mit der Trauer über den Verlust seiner Frau raufte, starb auch sein einziger Beschützer in Mekka, sein Onkel Abu Talib, und er war nunmehr völlig dem Mitleid seiner Feinde überlassen. Schließlich fassten kurze Zeit später alle mekkanischen Stämme den gemeinsamen Beschluss, ihn zu töten und somit seine Sache und Einladung auszulöschen. Die Welt wurde für ihn nunmehr zu einer Hölle. Er war völlig vereinsamt und wußte nicht, wohin er gehen und wie er sich verhalten sollte.
Werte Gläubige!
Mit jedem Tag beginnt das Leben erneut. Das wichtigste Gefühl, das dem Leben seine Dynamik verleiht, ist Hoffnung. Alle auf dieser Welt erlebten und begegneten Dinge verhelfen dem Menschen dabei, am Leben festzuhalten und unterstützen ihn bei seiner Bemühung, Schwierigkeiten zu überwinden. Das Auftauchen der Dämmerung durch Einreißen der Finsternis inspiriert den Menschen, der sich in der Spirale von Krisen und Notlagen befindet. So wie die ausgestorbene Natur durch den Frühling wieder zum Leben erwacht, nährt der Wille des Menschen dasselbe Gefühl zum Lebenskampf und zum Durchstehen – so wie die Zugvögel bei ihrer Suche nach einer neuen Heimat tausende Kilometer Flügel schlagen und Kontinente überwinden.
Den im Sterbebett befindlichen Kranken bindet eben dies hartnäckig an das Leben und verleiht ihm trotz seiner ermüdeten Blicke einen Lebenswillen: Hoffnung!
Den Menschen, die im Erdbeben, in der Wasserflut oder im Krieg... all ihr Hab und Gut verloren haben, deren Häuser und Straßen überschüttet wurden, hält die Hoffnung aufrecht, dass die Zukunft sicherlich anders sein wird.
Der Mensch lebt schließlich mit Hoffnung. Hoffnung ist nämlich Lebenselixier, Zukunft und Licht.
Was war es, das unseren Propheten von Mekka, das sich taub stellte, auf den Weg nach Taif losziehen ließ? Es war sicherlich die Hoffnung. Was war es, das unseren Propheten folgendes sagen ließ, während er verwundet und verblutet seine Augentränen wischte: “Vergib o Allah! Sie wissen nicht.”1 Es war die Hoffnung, die er mit der Zukunft der Gesellschaft verband.
Die Himmelfahrt nährt einerseits eben dieses, worauf der Mensch in diesem Leben am meisten angewiesen ist: Hoffnung. Mit der Himmelfahrt wiederspiegelt sich der folgende Vers – genauso wie in der Person unseres Propheten (s) – erneut bei jeder Person: „Mit der Schwierigkeit gibt es eine Erleichterung.“2 Die Himmelfahrt verleiht nicht nur unserem Propheten (s) Hoffnung, sondern jeder Person, deren Herzen beengt ist, deren Beziehungen verflochten sind, verspricht ihnen einen Ausweg für die krisengebeutelte Welt und einen Horizont des Aufstiegs.
Das folgende Versprechen als Geschenk der Himmelfahrt bedeutet, dass wir mit Fähigkeiten und Aushaltevermögen gegenüber den harten und schweren Verantwortungen unserer Prüfung ausgestattet wurden: „Niemandem wird aufgebürdet, wozu seine Kraft nicht ausreichen wird.“3 Es verheißt uns, dass in diesem weltlichen Leben niemand im Stich gelassen wird, wenn der Wille besteht, einen aufrichtigen, gerechten und geradlinigen Lebensweg zu bestreiten.
In diesem Sinne wünsche ich, dass die an diesem Abend zu begehende Nacht der Himmelfahrt dazu helfen möge, unsere Lebenslust jederzeit lebendig zu halten und unsere Entschiedenheit zur Überwindung sowohl individueller als auch globaler Probleme stärken möge. Ich gratuliere ihnen zur Nacht der Himmelfahrt.
Die DITIB-Predigtkommission
1 Bukhari, Anbiya”, 54; Muslim, Dschihad, 1792.
2 Koran, al-Inschirah, 94/5-6.
3 Koran, al-Baqara, 2/286.
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