Verehrte Muslime!
Eine der wichtigsten Eigenschaften, die dem Menschen einen Sinn für seine Existenz verleiht und ihn von den übrigen Geschöpfen unterscheidet, ist zweifellos die Tatsache, dass der Mensch ein Gewissen besitzt. Das Gewissen ist eine unserer auserwähltesten Eigenschaften, die uns der erhabene Allah in unser Wesen eingegeben hat. Das Gewissen gibt uns die Kraft, Gutes vom Bösen zu unterscheiden. Das Gewissen gewährleistet, dass wir bereuen, Böses gemacht zu haben und uns über gute Taten auch zu freuen und glücklich zu sein. Die am meisten wirksame Instanz für unsere Absichten und Taten ist die Instanz des Gewissens. Das Gewissen ist nämlich eine Rechts- und Gerechtigkeitswaage, die der Mensch in sich aufstellt. Schließlich ist Gewissen eine große Kraft, die uns dazu verhilft, nach Recht und Gerechtigkeit zu bewerten und Urteile zu fällen - ohne unsere individuellen und gesellschaftlichen Haltungen und Handlungen zu krümmen und zu biegen, sowie ohne mit zweierlei Maß zu messen. Diese Kraft des Gewissens rührt sicherlich daher, dass sich die natürliche Veranlagung (fiṭra) aus religiösen und ethischen Werten nähern.
Verehrte Geschwister!
Im edlen Koran und in den Hadisen findet der Begriff des Gewissens eine Wiederspiegelung mit dem Begriff des Herzens. In einem edlen Vers heiß es nämlich, dass die Errettung lediglich mit einem reinen Herzen (qalb salīm)1möglich ist. Schließlich wird das reine Herz definiert als erlebtes Wohlergehensgefühl des Gewissens, jegliche Verantwortung wahrzunehmen. Die ebenfalls in einem edlen Vers erwähnte Formulierung „ġalīḍ al-qalb“2 verdeutlicht das Fehlen des Gewissens.
Werte Gläubige!
Wenn der Mensch sein Gewissen verliert, mutiert der Mensch zu einer Maschine. Wo es kein Gewissen gibt, kann die Barmherzigkeit nicht fortbestehen. Es ist unumgänglich, dass sich die Ungerechtigkeit und Tyrannei mehren, wenn die Stimme unseres Gewissens verstummt. Kann jemand, der die Stimme seines Gewissens nicht mehr hören kann; denn überhaupt die Wehklage von Unterdrückten, die in den Himmel hinaufsteigt und den erhabenen Thron zittern lässt, hören? Lassen sie uns nicht vergessen: Wenn wir die Stimme von Unterdrückten nicht hören können, ist dies darauf zurückzuführen, dass wir die Stimme unseres Gewissens unterdrücken. Wenn wir im satten Zustand schlafen können, obwohl unser Nachbar hungert; ist dies darauf zurückzuführen, dass unser Gewissen abgestumpft ist. Wenn wir das Herz eines Waisen nicht gewinnen konnten; wenn wir bevorzugen, uns der Ungerechtigkeit zu beugen, anstatt das Recht aufrecht zu erhalten; ist dies darauf zurückzuführen, dass wir der unseres Gewissens kein Gehör schenken.
Verehrte Gläubige!
Wir als gewissenhafte Weltenbewohner befinden uns in einer großen Prüfung. Kinder, die aufgrund von Kriegen, die lediglich unterdrückte und traurige Menschen hinterlassen, Migrationen, Durst und Hunger ihr Leben verlieren, sowie Waisen als Anvertraute Allahs an die Gesellschaft, sind eine große Gewissensprüfung für die Menschheit. Wir als Gläubige dürfen nicht vergessen, dass wir uns um dasselbe Paradies wie diese Geschwister von uns bemühen. Wir sollten wissen, dass das Aufschieben unserer religiösen und ethischen Verantwortung unsere jeweiligen Gewissen verletzt. Wir sollten uns an folgendes erinnern: Wir sind angewiesen auf solche Gewissen, die fühlen können, sich der Probleme von anderen annehmen und ihre Tränen wischen zu können; vor ihrem eigenen Urteil den Anderen zuhören können und sich davor bewahren, anderen einen Schaden zuzufügen. Hand aufs Herz: Lassen sie uns jederzeit selbst in Rechenschaft ziehen indem wir uns selbst befragen: “Fühle ich mich wirklich gut und wohl in meinem Gewissen?”
Während ich meine Freitagspredigt beende, gratuliere ich zu ihrem Aschura-Tag, den wir nächsten Montag begehen werden. Ich bitte den erhabenen Allah darum, dass Er uns um die Liebe zu unserem Propheten und seiner Familie (Ahl al-Bayt) vereinen möge bei Frieden, Wohl, Vertrauen, gegenseitiger Liebe und gegenseitigem Respekt und uns in Gesundheit und Wohlergehen noch zahlreiche Jahre erleben lassen möge. “O Allah! Mache uns zu solchen Dienern von Dir, die sich freuen, wenn sie Gutes getan haben und traurig sind, wenn sie Böses getan haben!”3
Die DITIB-Predigtkommission
[1] Koran, asch-Schuara, 26/89.
[2] Koran, Al-i Imran, 3/159
[3] Ibn Madscha, Adab, 57; Ahmad b. Hanbel, Musnad, VI 188.
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