„10 Jahre Deutsche Islam Konferenz - Herausforderungen und Chancen für das nächste Jahrzehnt“

Anlässlich des Festakt „10 Jahre Deutsche Islam Konferenz - Herausforderungen und Chancen für das nächste Jahrzehnt“ am 27. September 2016 in Berlin hat Herr Dr. .Bekir Alboğa, Generalsekretär, Türkisch Islamische Union (DITIB), in seinem Redebeitrag „Dialog - Initiative - Kooperation: Zehn Jahre Deutsche Islam Konferenz aus muslimischer Perspektive“ die wichtigsten Punkte und Entwicklungen herausgearbeitet.


Dialog – Initiative – Kooperation Redebeitrag Dr. Bekir Alboğa


Sehr geehrter Herr Bundesinnenminister Dr. de Maizière,
Sehr geehrter Herr Bundesfinanzminister Dr. Schäuble,
Sehr geehrte Vertreterinnen und Vertreter der muslimischen Religionsgemeinschaften,
Meine sehr verehrte Damen und Herren,
Liebe Festgäste,

Herr Bundesinnenminister Dr. de Maizière, es ist mir eine große Freude und Ehre, anlässlich dieses Festaktes als Generalsekretär der DITIB ein Grußwort für die Muslime halten zu dürfen. Ich danke Ihnen für Ihre Einladung.

Herr Dr. Schäuble: den Satz, den Sie zur Eröffnung der DIK vor 10 Jahren sagten, zitiere ich immer wieder gerne: „Der Islam ist Teil Deutschlands und Teil Europas, er ist Teil unserer Gegenwart und er ist Teil unserer Zukunft. Muslime sind in Deutschland willkommen.“

Ich erinnere mich gerne an die erste Eröffnungsveranstaltung der DIK. Mit dieser Feststellung haben Sie in Ihrer Funktion, auch für die Religionsgemeinschaften zuständiger Bundesminister der großen Koalition der deutschen Gesellschafft und Öffentlichkeit angeraten, zu akzeptieren, dass man als deutscher Staatsbürger auch etwas anderes sein mag und sein kann als Christ, Jude oder Atheist. Damit sendeten Sie auch die Botschaft, dass auch Muslime gleichberechtigter und akzeptierter Teil dieses Landes sind. Ich sage Ihnen heute nach 10 Jahren im Namen der Muslime in Deutschland herzlichen Dank für diese mutige und wegweisende Aussage und auch für den Weg, den Sie mit uns Muslimen zusammen gegangen sind.

Bei ihrer Gründung war das Ziel der Deutschen Islamkonferenz, mit den Muslimen zu reden und nicht über sie. Beim Gespräch zwischen Muslimen und Vertretern von Bund, Ländern und Gemeinden sollte der gesellschaftliche Zusammenhalt im Mittelpunkt stehen.

Aber ich erinnere mich auch daran, dass damit ein intensiver, manchmal auch erschöpfender persönlicher, institutioneller und öffentlicher Dialog angestoßen wurde. Aus dem Dialog entstanden wichtige Initiativen, und daraus wiederum Kooperationen.

Die Schlagworte Dialog – Initiative – Kooperation sind wichtig, weil sie hervorheben, wie das Eine zum Anderen führt. Ohne zielgerichteten Dialog als Grundvoraussetzung wäre all dies nicht möglich gewesen. Die DIK hat dafür die richtige Plattform geboten, sodass daraus gemeinsame Initiativen und Kooperationen möglich wurden.

Es musste und sollte etwas getan werden für die Teilhabe, Chancengleichheit und Integration und gegen Ausgrenzung.

Deutschland war entschlossen, eine Gesellschaft des Zusammenhalts und nicht der Spaltung zu schaffen. Die Deutsche Einheit hatte die Mauer überwunden und so galt es, auch die Mauern in den Köpfen niederzureißen. Die Ermutigung unseres damaliger Bundespräsident Wulff an die Muslime am Tag der Deutschen Einheit 2010 zeigte aber auch, dass viele nicht der Meinung waren, dass der Islam und die Muslime zu Deutschland gehörten.

Zwei Themen gehörten von Anfang an zusammen:

Die Integration von Migranten und die Integration von Muslimen.

Und bis heute prägt im Kern die Vorstellung vom Wir und vom Fremden die öffentliche Debatte, die das Gespräch in der DIK zwischen Muslimen und Vertretern des Staates begleiten.

Meine Damen und Herren, wir wollten miteinander reden. Und ich möchte Ihnen sagen, dass es eine großartige Leistung Herrn Schäubles und seiner Mitarbeiter war, der DIK einen Geist einzuhauchen, der zur stetigen Fortführung der Gespräche bis heute geführt hat. Hier gilt mein ausdrücklicher Dank auch unserem Herrn Innenminister Thomas de Maizière.

Denn wir wissen alle, dass Gespräche auch immer von der Öffentlichkeit begleitet werden. Das ist gut und richtig so. Denn, was nützen uns Selbstgespräche, wenn sie nicht da draußen gehört, verstanden und mitgetragen werden? Doch waren die Gespräche im DIK auch immer von Zwischenrufen von außen begleitet, die nicht immer zur Würdigung des Erfolgs und der Annäherung beigetragen haben. Im Gegenteil.

Ich glaube, dass die DIK in den Medien zum Teil nicht mit der verdienten Aufmerksamkeit und in gebührender Weise begleitet wurde. Ich kann mich an keine Talkshow in der ARD oder ZDF erinnern, wo in einer sachlichen Debatte die Öffentlichkeit über Ergebnisse der DIK differenziert und detailliert informiert wurde. Kaum ein gesellschaftlicher Diskurs verläuft ohne Emotionalisierung, vereinfachte Vermischung und Vermengung verschiedenster Themen, ja schon fast Skandalisierung und Hysterie.

Meine Damen und Herren,

Irgendetwas ist anders geworden in unserem Land. Vielleicht haben wir alle die Komplexität der öffentlichen Debatten und die Zwischenrufe unterschätzt. Diese Zwischenrufe von außen vermischen je nach Bedarf Integrations-, Flüchtlings- und Islamdebatten miteinander und machen eine Sichtbarmachung von Erfolgen sehr schwer. Dies fällt mir auch auf, wenn ich –als Mann der ersten Stunde sozusagen- rückblickend die Ergebnisse und Erfolge der DIK betrachte.

Bitte gestatten Sie mir, auf einige exemplarische Themenschwerpunkte und Ergebnisse der DIK, auch unter dem Aspekt der Zwischenrufe, kurz einzugehen.

Mein erstes Beispiel ist das Bekenntnis zum Grundgesetz. Am Anfang der DIK stand die Frage, ob sich die Gesprächspartner in der Deutschen Islamkonferenz auf einen gemeinsamen Wertekanon verständigen konnten, auf dem zukünftige Gespräche aufbauen können. Entlehnt aus der Integrationsdebatte galt auch hier, sich zum Grundgesetz und der freiheitlich demokratischen Grundordnung zu bekennen. Auch wenn sich die organisierten Muslime wiederholt dazu bekannt haben, sind die Zwischenrufe, die die diesbezügliche Glaubwürdigkeit der Muslime anzweifelten, nie verhallt und lassen eine Atmosphäre des Misstrauens zurück.

Das Beispiel Vertretungsanspruch der Verbände. Von Anfang an stellte sich in der DIK die Frage, wer die Muslime in den Gesprächen vertreten könne. Alleine diese Frage und die Suche nach Ansprechpartnern, hat nicht selten zu großen Verstimmungen geführt. Die organisierten Muslime saßen am Tisch und wurden gleichzeitig klein geredet. Mal hieß es, sie würden 20%, mal nur 15% der Muslime in diesem Land vertreten. Faktisch werden heute von etwa 2300 Moscheegemeinden in Deutschland über 2000 Moscheen von den vier großen muslimischen Verbänden gemeinsam mit den weiteren teilnehmenden Verbänden vertreten – also über 90%.

Die von außen geführte Debatte um die Legitimität der Ansprechpartner war von Anbeginn von vielen Zwischenrufen begleitet. Die letzten dieser Zwischenrufe zielten dann auch darauf ab, Muslime als Vertreter ausländischer Mächte zu brandmarken und ihnen ihre Vertretungsrolle so abzusprechen.

Beim Beispiel Geschlechterbilder und Arbeitsmarktchancen ging es um die Frage, wie die Chancen von Frauen mit Kopftuch auf dem Arbeitsmarkt sind. Und es ist dabei geblieben, dass Frauen mit Kopftuch immer noch in vielen Arbeitsbereichen, in Banken, in Ämtern, Schulen und Führungsetagen ungern gesehen sind. Eine aktuelle Untersuchung hat gezeigt, dass Frauen mit Kopftuch sich viermal öfter bewerben müssen, um überhaupt zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen zu werden. Wie auch immer man dazu stehen mag, die Diskussionen um Niqab, Burka und Burkini lenken uns davon ab, dass zwar einerseits eine Gleichberechtigung von Frauen mit Kopftuch gefordert, sie aber anderseits in unserer deutschen Gesellschaft diskriminiert werden.

Beispiel Flüchtlingsarbeit. Muslime haben nach den Ereignissen vom letzten Jahr schnell und unaufgefordert als selbstverständlicher Teil dieser Gesellschaft gezeigt, dass sie bereit sind, sich für die Integration von Flüchtlingen einzusetzen. Immer wieder waren dann die Zwischenrufe zu hören, man könne den unintegrierten Muslimen nicht die Integration der Flüchtlinge überlassen. Dabei können gerade Muslime authentischer aufzeigen, dass man in diesem Land auch als Muslim frei und ungehindert leben kann und dass dies ein Land der Vielfalt und der Gleichberechtigung ist und man als Muslim seinen Beitrag für die Gesellschaft leisten kann. Die Förderung vom Bund kam in geringe Maßen und sehr viel später hinzu. Heute tragen die muslimischen Verbände mit oder ohne finanzieller und ideeler Förderung weiterhin alles in ihrer Macht stehende bei.

Auch der Islamische Religionsunterricht ist ein Beispiel für wichtige Ergebnisse der DIK: Die Notwendigkeit, aber auch die Grund- und Rahmenbedingungen wurden in Gesprächen von den islamischen Verbänden erörtert, gemeinsame Weichen im Rahmen der DIK gesetzt. Dieses Beispiel des Islamischen Religionsunterrichts steht wie manch andere Erfahrungen, dass nähmlich gemeinsam entwickelte DIK-Arbeiten sich im weiteren Verlauf als Ergebnis der DIK verselbständigen. Das Gemeinwesen hat die Ergebnisse zwar aufgegriffen und weiterentwickelt, jedoch in den Bundesländern derartige institutionelle Rahmen geschaffen, die die muslimischen Verbände und Vertreter wiederum entweder gänzlich oder weitgehend ausgeschlossen hat. Stellenweise wird gar versucht, neue, genehmere Akteure zu schaffen oder zu einem Vertretungsanspruch zu verhelfen, was verfassungsrechtlich schwerlich zu erklären ist, in einigen Bundesländern gar einen Verfassungsbruch darstellen.

Beispiel Islamische Theologie: Auch hier stellen wir fest, dass über den Dialog zwar eine Initiirung mit verantwortet wurde, jedoch das wichtige Ergebnis – wie beim Islamischen Religionsunterricht auch – in der Umsetzung unter weitgehendem Ausschluss der Religionsgemeinschaft an den Universitäten sich verselbstständigt hat.

Bedauerlich ist insbesondere in den beiden letzten Beispielen, dass der Islamische Religionsunterricht und die Islamischen Lehrstühle so dargestellt werden, als seien sie die Gegenspieler der muslimischen Verbände.

So könnte ich resümieren, dass trotz guter Ergebnisse in der DIK die Entwicklungen in den Ländern eher kritisch sind, da das kooperative Miteinander auf Bundesebene diametral zu dem eher distruktiven Miteeinander aus den Länderebenen steht.

Erklärtes Ziel der DIK war: Wir wollen miteinander reden und müssen aufpassen, dass wir die, mit denen geredet werden soll, nicht ausgeschlossen werden. Wir wollten nicht übereinander reden. Noch viel weniger wollten wir in der DIK einen anderen, scheinbar angenehmere Gesprächspartner kreieren.

Diesbezüglich ist Ihre Herangehensweise, Herr Dr. Schäuble, hervorzuheben. Sie brachten in Ihren Gesprächen immer wieder auch das Thema islamische Theologie und das Thema Kooperation zur Sprache “Wenn es uns gelingt, dafür zu sorgen, dass islamische Theologie an deutschen Hochschulen gelehrt wird – dafür wäre allerdings ein Austausch mit anderen Ländern erforderlich –, würde dies zu einer Bereicherung der Theologie in unserem Lande führen, und zwar über den Islam hinaus. Außerdem wäre dies ein wichtiger Beitrag zur islamischen Theologie, der über unser Land hinausgeht.”

Dieser Ansatz ist richtig, denn ein de-kulturiertes Religionsverständnis, ein de-kulturierter Islam wäre nicht nur Bedrohung für die Religionsgemeinschaft selbst, sondern für die gesamte Weltgemeinschaft – denn dies kappt feste Wurzeln und ein historisches, gesellschaftliches und gemeinschaftliches Bezugssystem. Gerade daraus, dass Religiosität und Religionsgemeinschaften übernational sind, schöpfen selbige Verlässlichkeit, Gewissheit und schaffen gleichzeitig ein Bewusstsein für Pluralismus, gegenseitigen Respekt und Meinungsvielfalt.

Oliver Roy stellt fest, dass die Radikalisierung muslimischer Jugend in Europa nicht eine Folge der Existenz von Extremisten ist. Radikalisierung vollziehe sich vielmehr durch einen de-kulturierten Islam, der keiner seiner Ausprägungen in irgendeiner Gesellschaft entspricht und auch zu keiner Gemeinschaft. Der Islam, den sie – die Extremisten- erwählt haben, ist nicht der überlieferte Islam. Es ist nicht der kulturelle Islam, nicht der traditionelle Islam, sondern der Islam, den sie selbst erdacht haben.

Jonathan Laurence macht die gleiche Feststellung:

„In einem eroberten Territorium nach dem anderen kappten Kolonialherren die traditionellen Bande islamischer Autorität und religiöser Erziehung… Die neuen Kolonialherren unterbrachen den Austausch der Richter, der Muftis, Koranschulen und Moscheeprojekte. Jahrhundertealte religiöse Stiftungen und religiöse Führungskonstellationen wurden entwurzelt zugunsten von Institutionen, die Europäer kontrollieren zu können glaubten.“

Vielleicht ist dies ein Gedanke, der unser Bewusstsein bezüglich eines in Deutschland beheimateten Islams öffnen sollte. Ein de-kulturierter Islam ist kein besser, sondern allenfalls ein selbstbezogener, schwacher und anfälliger.

Und, meine Damen und Herren, ein de-kulturierter Islam, allein in Deutschland und für Deutschland gedacht, kann keinen Dialog führen.

Wie wichtig aber der Dialog als Grundvoraussetzung für Initiative und Kooperation ist, wissen wir nicht nur aus den vielen Erfahrungen und Ergebnissen der DIK.

Gerade deshalb möchte ich meinen Betrag mit einigen Frage beenden: Unser aller Ziel war es, miteinander zu reden – aber derzeit herrscht donnerndes Schweigen.

Wie kann, soll unter diesen Bedingungen Initiative und Kooperation möglich sein?

Vielleicht wurde noch nie so viel über die Muslime geredet wie heute. Fällt dann das Mit-ihnen-Reden möglicherweise kaum mehr ins Gewicht?

Trauen wir uns aus der Angst heraus, dass alles Gesagte in der Öffentlichkeit, in Politik oder Medien ins Gegenteil verkehrt werden könnte, nicht mehr zu füreinander, miteinander stark zu sein? Wir alle zusammen tragen Verantwortung dafür, dass dem nicht so ist...

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Danke

 

(Es gilt das gesprochene Wort)


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