Im Zusammenhang mit der rechtsextremistischen Mordserie fand fand am 24.01.12 im Bundesinnenministerium das "Spitzentreffen gegen Rechtsextremismus" statt. Bundesinnenminister Dr. Hans-Peter Friedrich und Bundesfamilienministerin Dr. Kristina Schröder empfingen zu diesem Treffen Vertreter verschiedener sozial-politischer Akteure.
Geladen war zu diesem Spitzentreffen Herr Prof. Ali Dere, als muslimischer Vertreter und Vorsitzender des DITIB-Dachverbandes. Im Rahmen der Aussprache resümierte er:
“Es ist wichtig, die hier besprochenen Theme nicht lösgelöst zu betrachten, sondern entsprechend einzubetten in einen Gesamtzusammenhang und in den Rahmen notwendiger Wechselbeziehungen. Daran werden sich unsere themenbezogene Annäherungen und Arbeiten messen lassen müssen.
Unter dieser Maßgabe ist es entscheidend, dass dies keine Betrachtung von Außenstehenden oder Beobachtern sein kann, zumal dies schließlich auch kein Migranten-Thema ist. Es geht um nicht weniger als die Zukunft Deutschlands und die Manifestation des Gegenwärtigen im zeitlichen und inhaltlichem Sinne gleichermaßen. Das Problem ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Ich persönlich mag in der Türkei geboren sein, aber unabhängig davon bin ich Teil dieser Gesellschaft. Dies gilt ebenso für die Menschen, die die DITIB als Dachverband vertritt. Diese Menschen sind -inzwischen mehrheitlich sogar deutsche Staatsbürger- ein fester Teil dieser Gesellschaft.
Die erschütternden Enthüllungen jüngster Zeit haben die Migranten, insbesondere die Muslime, in Angst und Schrecken versetzt. Wir sind derzeit darum bemüht, gegen dies Angst in Gesprächen im Rahmen deutschlandweiter Gemeindearbeiten einzudämmen und verlorengegangene Zuversicht und erschüttertes Vertrauen wieder zu stärken.
Aus dieser Notwendigkeit und Bedürfnissen mag es hilfreich sein, entsprechende Druck- und Infomaterialen zu erstellen. Das BMI kann darüber zum Einen darstellen, was von Seiten des Staates unternommen wird, zum Anderen aber auch Gesprächsangebote und Möglichkeiten schaffen, um aktiv Ängsten und Befürchtungen zu begegnen.
Nicht zu vergessen, dass muslimische Einrichtungen und Verbände im doppelten Sinne Opfer rechtsextremistischer Umtriebe und Gesinnungen sind. Daraus leitet sich zudem konkrete Notwendigkeiten für geeignete Sicherheitsmaßnahmen für selbige ab.
Zum Einen sind sie marginalisierter, in rechter Ideologie als quasi “verzichtbarer” Teil der Zivilgesellschaft gebrandmarkt, was eine verfassungsfeindliche Haltung gegen die Demokratie und das Pluralismus-Prinzip darstellt. Zum Anderen sind Migranten, Muslime und zunehmend auch ihre Einrichtungen tatsächliche und potentielle Ziele für Gewalttaten und Übergriffe.
Wie der DITIB-Dachverband bereits unlängst in anderen Stellungnahmen äußerte, wird es im Kampf gegen die rechtsextreme Bewegungen, die auch vor Morden nicht zurückschrecken, nicht ausreichend sein, die Unterstützer, Förderer und Strippenzieher ausfindig zu machen.
Dringend notwendig ist die Einrichtung einer zentralen Nazi-Datenbank, ebenso wie die Gründung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses. Dies wird zuvorderst eine oberflächliche, systemische Wirkung entfalten.
Wie allerdings schon im Einladungsschreiben zum "Spitzentreffen gegen Rechtsextremismus" dargestellt, stehen nicht allein die Arbeiten und Maßnahmen der Sicherheitsbehörden, sondern vielmehr geeignete Maßnahmen gegen rechtsextreme Gesinnungenn und Entwicklungen, sowie Aussteiger- und Anti-Gewalt-Programme zur Diskussion und Disposition.”
Eine gesellschaftlich getragene Reflektion und eine intensive Auseinandersetzung mit alltäglichem, verstecktem und subtilem Rassismus und Xenophobie sind daher ebenso zwingend notwenig. Was aus der Tiefe der Gesellschaft abgelehnt wird und keinen Nährboden findet, kann dann auch an der Oberfläche seine Wirkung nicht entfalten. Alle relevanten Akteure müssen hierin ihrer Verantwortung gerecht werden. Dies fordert Entschlossenheit und Engagement nicht nur gegen rechtsextreme oder rechtspopulistische Gesinnungen, sondern ebenfalls gegen Ausgrenzung, Stigmatisierung und Marginalisierung von Migranten und Muslime als natürlicher Teil der pluralistischen Demokratie in Deutschland.
Vorschläge konkreter Maßnahmen zur Stärkung des gesellschaftlichen Miteinanders waren:
- Die Gründung einer Kommission für Migrantenrechte und Religionsfreiheit unter Teilnahme der Migranten- und Religionsverbände, um Rechtsverletzungen diesbezüglich besser erfassen, entsprechende Entwicklungen nachzeichnen und notwendige Schritte frühzeitig initiieren zu können.
- Verstärkte Einbindung zivilgesellschaftlicher und religiöser Spitzenvertreter und regelmäßige Treffen mit der Zielsetzung, dass ausländerfeindliche Bestrebungen und Taten keine Unterstützung erfahren. Durch regelmäßige Zusammenkünfte werden gemeinsame Plattformen für die gesamtgesellschaftliche Verantwortung geschaffen und ein gelebter, konstruktiver Erfahrungs- und Erwartungsaustausch sichergestellt.
- Eine gesonderte statistische Erfassung muslimfeindlicher Taten, insbesondere in Anbetracht der stark zunehmenden Übergriffe auf Muslime und muslimische Gotteshäuser in den letzten Jahren..
- Inhaltlich positiv orientierte, ebenfalls in den Begrifflichkeiten und Zuschreibungen sensiblere Integrationsbemühungen auch in staatstragender Politik sind notwendig. Der defizitäre und problemzentrierte Ansatz der bisherigen Integrationsdebatte gibt rechten Gesinnungen mit ihren Auswüchsen in bestimmtem Maße indirekt Auftrieb und Bestätigung.
- Nach Bedarf sind auch rechtliche und institutionelle Korrekturen oder Veränderungen notwendig. Innerhalb dieses Rahmens sind auch soziale und kulturelle Bedingungen zu analysieren, die geeignet sind, diese präventiven Maßnahmen zu unterstützen und nachhaltig zu fördern. Konkreten Sicherheits- und Präventivmaßnahmen dürfen nicht im Oberflächlichen verhaftet bleiben und müssen auf messbare Parameter basieren.
- Unterstützung und Initiierung von präventiven (Jugend-) Projekten und Arbeiten gegen Rechts unter Einbindung der Migrantenverbände, um die Perspektive (potentieller oder tatsächlicher) Betroffener verstärkt in die Arbeiten einfließen zu lassen. Bereits vorhandene Arbeiten in Schulen und Bildungseinrichtungen sind zu intensivieren. Breite Kooperation darüber hinaus mit Migrantenorganisationen scheinen notwendig, um einerseits Ängste zu minimieren, anderseits wechselseitige Perspektiven zu ermöglichen. Dies stärkt frühzeitig die Empathie füreinander, das Gespräch miteinander und damit den gesellschaftlichen Kitt.
- Mehr ethnische und religiöse Vielfalt im öffentlichen Dienst, Medien und Arbeitswelt stärkt die Empathie. "Auch der öffentliche Dienst muss die Vielfalt unserer Gesellschaft abbilden. Wir benötigen mehr Beschäftigte mit Migrationshintergrund im öffentlichen Dienst als Brückenbauer." Diese Aussage und Zielsetzung von Frau Staatsministerin Böhmer muss sich deutlicher in Fakten und Zahlen niederschlagen als bisher. Der öffentliche Dienst nimmt hierbei eine Vorbildfunktion ein.
Prof. Ali Dere abschließend: “Daran, wie wir diese gesellschaftliche Herausforderung gemeinsam angehen, werden nicht nur das Vertrauen in die Sicherheitsbehörden und die Sicherheitsorgane bestimmen, sondern auch die Wahrnehmung Deutschlands weit über die Ländergrenze hinaus. Sich dieser gesellschaftlichen Herausforderung nach dem Selbstverständnis einer jeden Demokratie unbeirrt in Standhaftigkeit entgegen zu stellen, ist der Prüfstein einer jeden humanistischen, aufgeklärten und demokratischen Gesellschaft.”
Geladen waren zu diesem Spitzentreffen weiter Vertreter des DOSB, DFB, DGB, des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, der Deutschen Bischofskonferenz, des Zentralrats der Juden in Deutschland, des Zentralrats der Muslime in Deutschland, des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, der Alevitischen Gemeinde Deutschland, sowie Vertreter der Griechisch-Orthodoxen Metropolie von Deutschland, der BAGFW, der Bundeszentrale für politische Bildung, des Bundesausschusses Politische Bildung, des Vereins "Gegen Vergessen – Für Demokratie", des Anne-Frank Zentrums, der Amadeu-Antonio Stiftung, des Deutschen Bundesjugendrings, der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung sowie der Stabsstelle des Kooperationsverbundes der Jugendsozialarbeit
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