Religiöse Toleranz und gesellschaftliche Gemäßigtkeit

بِسْمِ اللهِ الْرَّحمَنِ الْرَّحِيمِ
 اُدْعُ  اِلى سَبِيلِ رَبِّكَ بِالحِكْمَةِ وَالْمَوْعِظَةِ الحَسَنَةِ وَجَادِلْهُمْ بِالَّتي هِيَ اَحْسَنُ  اِنَّ رَبَّكَ هُوَ اَعْلَمُ  بمَنْ ضَلَّ عَنْ سَبِيلِهِ وَهُوَ اَعْلَمُ بِالْمُهْتَدِينَ
 
Bismillahirrahmanirrahim
[Im Namen Allahs, des Erbarmers, des Barmherzigen]
„Rufe zum Weg deines Herrn mit Weisheit und schöner Ermahnung, und streite mit ihnen in bester Weise. Gewiss, dein Herr kennt sehr wohl, wer von Seinem Weg abirrt, und Er kennt sehr wohl die Rechtgeleiteten.“
 
[Sure Nahl, Vers 125]

Verehrte Gläubige,

In seiner universellen Botschaft lehrt der Koran dem Individuum Konsequenz im Glauben und Handeln, und damit verbunden ein Gesellschaftsleben in Frieden und Solidarität. Der Islam ermahnt den Menschen für seine individuellen Taten zur Verantwortung und motiviert ihn dazu, einen Beitrag für die Gesellschaft zu leisten. Gleichzeitig sensibilisiert der Islam das Individuum dafür, Meinungs- und Glaubensfreiheit, alle Menschen und die ganze Menschheit, zuvorderst aber das Recht auf Leben, zu schützen. Der Koran sieht prinzipiell Unruhen in der Gesellschaft, Spannungen und die Verleumdung als schädlicher an, als eine offene kriegerische Auseinandersetzung. [1] Der Koran beschreibt, dass man auch dann nur in schöner Weise ermahnen soll, wenn es um unterschiedlichen Glauben, unterschiedliche Ideen und Überzeugungen geht oder sich jemand gar schlecht verhält.

„Rufe zum Weg deines Herrn mit Weisheit und schöner Ermahnung, und streite mit ihnen in bester Weise. Gewiss, dein Herr kennt sehr wohl, wer von Seinem Weg abirrt, und Er kennt sehr wohl die Rechtgeleiteten.“ [2]

Einer der bedeutendsten Glieder in der Prophetenkette, der Prophet Isa (Jesus) (a.s.), hat in seiner ursprünglichen Lehre Selbiges gelehrt. Auch er lehrte nicht minder Respekt und Liebe zum Menschen. Auch seine Achtung vor dem Glauben war sicher nicht geringer als diese.

Die Diskriminierungen, die nichts anderes als Spaltung der Gesellschaft bedeuten, sind für die Entwicklung der Prinzipien und des gesellschaftlichen Friedens in Deutschland besorgniserregend. Dabei lehrt hier das Christentum, angefangen von der Nachbarschaft bis hin zur Gesamtheit der Gesellschaft, den Geist des Respekts und der Liebe. Dabei garantiert der Rechtsstaat die Freiheit des Individuums, der Meinungsäußerung und des Glaubens. Darin getragen von einem starken Bildungssystem, das die Fähigkeiten und Talente auf beste Weise fördert und das dazu dient, eine vielfältige, aber integrierte Gesellschaft hervorzubringen. Somit eine Demokratie, die Vielfalt und Beteiligung vorsieht. Wo doch all das vorhanden ist, was Freiheit, Pluralität und Respekt für den Menschen und die Werte, an die er glaubt, garantiert, kommt es dennoch zu Diskriminierungen. Obwohl sie eine Minderheit darstellen, gibt es in manchen europäischen Ländern Gruppen, die eine Übereinstimmung in der Methode, in den Zielen und Ideologien zu haben scheinen, und entsprechende Haltungen und Aktivitäten zeigen, die mit dem gegenwärtigen, universellen Wertekatalog Deutschlands nicht vereinbar sind.

Diese Erde beherbergt uns alle, ohne einen Unterschied zu machen: Sie beherbergt all Jene, die aus den unterschiedlichsten Teilen der Welt stammen. All jene, die sich gemüht haben, die diese Ecke der Welt im Schweiße ihres Angesichts und mit ihrem gesellschaftlichen Engagement zu ihrer neuen Heimat gemacht haben. All jene, die Verantwortungsgefühl gezeigt haben. All jene, die sich Gott, der uns aus dem Nichts erschaffen hat, zuwenden und in ihrer eigenen Sprache und aus dem Herzen für das Wohl der ganzen Menschheit beten. All Jene, die universelle Werte haben, sich als Mitglieder der großen Menschheitsfamilie sehen und den Menschen als Menschen lieben. All Jene beherbergt diese Erde. Mit welchem Moral-, Rechts- und Menschlichkeitsverständnis sind dann die Diskriminierungen über Symbole, die Angriffe, die Beunruhigung dieser Menschen vereinbar?

Auf der einen Seite verzeichnen wir zunehmend tätliche Übergriffe auf Moscheen, auf der anderen Seite materielle wie immaterielle, ideologische Übergriffe im Rahmen von politischer Wahlpropaganda. Die Versuche, gesellschaftliche Unruhen zu stiften, indem darüber hinaus Offenbarungsbücher oder Propheten diffamiert werden, erschließt sich einem Menschen - egal welcher Religionsgemeinschaft oder welchem Kulturkreis er auch entstammen mag - weder mit dem Verstand noch dem Herzen.

So fragen wir: wo bleibt hier Redlichkeit, das Gewissen, die Anteilnahme, wo Humanität und Mitgefühl? Was wir diesbezüglich als muslimische Religionsgemeinschaft nicht verstehen oder gar billigen können, kann auch der gesunde Menschenverstand nur ablehnen und zurückweisen.

Wenn doch diejenigen, die Gotteshäuser und muslimische Bauten zu Wahlzwecken instrumentalisieren und schmähen, wüssten, dass der Islam jede Gebetsstätte ungeachtet der entsprechenden Religion unter Schutz stellt. Dass Prof. Dr. Mehmet Görmez, der Präsident der türkischen Religionsbehörde, unlängst erneut daran gemahnte, dass Kirchen und andere Gotteshäuser in muslimisch geprägten Ländern den Muslimen anvertraut sind, auf dass sie damit verantwortungsvoll umgehen. Keinem stehe das Recht oder die Erlaubnis zu, sich daran zu vergehen oder selbige zu schmähen.

Wenn doch diejenigen, die mit Karikaturen des Propheten Muhammed (s.a.w.) Grenzverletzungen und Hetze betreiben und Spannungen in der Gesellschaft erzeugen wollen, wüssten, dass die in Deutschland lebenden Muslime kürzlich erst zur Gedenkwoche anlässlich der Wiederkehr der Geburt des Propheten Muhammed (s.a.w.) seiner umfassenden Gnade und Botschaften gedachten. Dass er, Botschafter und Vorbild höchster, unerreichter Werte, Grundsätze und größter Barmherzigkeit in moralischer Reife und Menschlichkeit stets die Brüderlichkeit betonte. Vom selben Stamm geschaffen, gelten seit Anbeginn der Schöpfung, beginnend mit dem Propheten Adam, die Verantwortung des Individuums der Gemeinschaft und der Menschlichkeit gegenüber. Diese umfassende Verantwortung gemahnt uneingeschränkt an die Prinzipien der Brüderlichkeit und der Solidargemeinschaft.

Wir Muslime wissen darum, dass die, die wissen, nicht mit denen gleich sind, die nicht wissen. Wir können den Unwissenden nicht in gleicher Plumpheit begegnen. Denn die, obwohl sie nicht wissen, handeln zügellos, suchen Streit und Getöse, handeln den Werten, der Reife und dem Feinsinn einer entwickelten Gesellschaft zuwider. Nämlich unser Weg ist der Weg des Verstandes, der Weg der Weisheit und der Weg der Liebe.

So sang der Dichter Yunus Emre in einem Gedicht:

Ich bin nicht gekommen für den Streit, meine Mühe gilt der Liebe,
Das Haus des Geliebten ist das Herz, ich bin gekommen, um Herzen zu errichten.


Die Problemfelder müssen an ihren Wurzeln angegangen werden, um dem sozialen Selbstverständnis des Staates und gesamtgesellschaftlichen Frieden gerecht zu werden. Ich gehe davon aus, dass insbesondere auch nichtmuslimische, öffentliche und zivile Institutionen, Einrichtungen und Organisationen, die Kreise gesellschaftlich relevanter Denker und Intellektuellen, vor allem auch die Medien, denen allen das Konzept der Prävention nicht fremd ist, diesbezüglich die notwendige Sensibilität und Empathie zeigen werden.

Wir lassen Jene, die nichts von der globalen Welt, dem zivilisierten Leben, der toleranten Herangehensweise, der Bedeutung und dem Wert einer integrativen, verantwortungsbewussten Gesellschaft verstehen, in ihrer Einsamkeit allein. Wir bleiben fern jedem Übergriff und jeder provozierenden Aktion, die vor und in Richtung unserer Moscheen oder in Richtung unseres Propheten veranstaltet werden könnten. Wir empfehlen unserer Gemeinde Ruhe zu wahren, Größe und Reife zu zeigen. Wir überlassen das Nötige den zuständigen Behörden und Autoritäten und überantworten die Bewertung dieser Entwicklungen dem Gewissen der breiten Öffentlichkeit.

Unser Herr möge uns vor jedwedem Extremismus und Fehlern schützen, die wir möglicherweise selbst begehen oder denen wir möglicherweise zum Opfer fallen könnten.

[1] Bakara, 2/191.                                                                                                                                                               [2] Nahl, 16/125.

Prof. Dr. Ali DERE

 
 


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