Köln, 11.04.2015: Prof. Dr. Mehmet Görmez, Präsident der Diyanet, empfing Pressevertreter zu einem Frühstück mit anschließender Pressekonferenz im Rahmen der Eröffnungsveranstaltung zur Woche der Segensreichen Geburt unseres Propheten Muhammed (Friede sei mit Ihm) am heutigen Samstagvormittag in Köln.
Zu dieser Gelegenheit fanden ein gegenseitiges Kennenlernen und ein Gedankenaustausch zu verschiedenen Themen statt.
Neben Prof. Dr. Mehmet Görmez und Hüseyin A. Karslıoğlu, Botschafter der Türkischen Republik, nahm ebenfalls Prof. Dr. Nevzat Y. Aşıkoğlu als Gastgeber zu diesem Anlass am Gespräch mit den deutsch- und türkischsprachigen Pressevertretern teil.
Im Rahmen des Pressegesprächs erörterte Prof. Görmez aktuelle Themen und Arbeiten, die den Islam und die Muslime betreffen, und beantwortete anschließend ebenfalls die Fragen der anwesenden Pressevertreter.
Herr Prof. Dr. Mehmet Görmez ging einleitend auf die Woche der Segensreichen Geburt ein, die als Gedenktradition seit Jahrzehnten weltweit begangen wird, mit der Intention, vom Gedenken zu einem besseren Verständnis des durch den Propheten Muhammed (Friede sei mit Ihm) vorbildlich gelebten Glauben zu gelangen.
So steht im Mittelpunkt der diesjährigen Woche die Ethik des Zusammenlebens. Darin betonte er, dass im Islam das multireligiöse und multiethnische Zusammenleben auf eine lange historische Erfahrung in gegenseitiger Toleranz zurückblickt. Auf diese Tradition sich zu besinnen und diese Tradition zu beleben, ist eine aktuelle Herausforderung unserer Zeit.
Daher arbeitet aktuell die Diyanet mit verschiedenen Wissenschaftlern aus aller Welt an einer gemeinsamen Erklärung, um eben die notwendigen Kriterien für ein gelingendes und gedeihliches Miteinander auszuarbeiten, wozu Herr Prof. Görmez am 21.04. zu den Vereinten Nationen sprechen wird. Das gemeinsame Denken darüber sei wichtig, insbesondere für Gesellschaften, die diese historischen multiethischen und multireligiösen Erfahrungswerte nicht haben.
Auf die Frage nach Islamophobie und Reaktionen anderer Glaubensgemeinschaften darauf, führte Prof. Görmez aus, dass islamfeindliche Tendenzen verschiedene Ursachen haben. Antiislamische Bewegungen würden den gesellschaftlichen Frieden gefährden und zur Spaltung einer Gesellschaft beitragen. Im Gegenzug seien die solidarischen Aktionen der Kirchen als Reaktion gegen antiislamische Demonstrationen ein erfreuliches Beispiel dafür, wie gegenseitige Achtung und Unterstützung füreinander das gesellschaftliche Zusammenleben stärken.
"Seit dem 11. September hat sich, in Amerika beginnend und längst in Europa angekommen, eine Anti-Islam-Industrie herausgebildet, die sich inzwischen unter dem Motto „Stop Islamization of Nations“ vereint hat. Mit dem Vatikan, aber auch in anderen Ländern haben wir diesbezüglich Gespräche mit den christlichen Religionsgemeinschaften geführt, jedoch ist dies derzeit nicht im Hauptaugenmerk der Reaktionen und Arbeiten. Die Beleuchtung des Kölner Dom als Zeichen gegen die gleichzeitig stattfindende Pegida-Demonstration auszuschalten, um auf die Dunkelheit in dieser Menschenfeindlichkeit zu verweisen, ist daher ein wichtiges Signal, das beeindruckend ist." fügte er hinzu.
Vor diesem Hintergrund hob er das besondere Verhältnis zu Deutschland hervor. Dies sein kein gewöhnliches, bilaterales Verhältnis, sondern habe eine besonderen Stellenwert. Als große Kulturnation, als Denkernation, ist Deutschland ein Vorbild für verschiedene europäische Länder -und weltweit- für ein gelingendes Zusammenleben. Daher sind islamophobe Tendenzen Besorgnis erregend, wenn sie sich zu Ausgrenzung und Stigmatisierung von Muslimen wandelt.
Die Verbrechen von Extremisten, die auch aus den Konflikten im Nahen Osten hervorgegangen sind, können nicht den europäischen Muslimen zugeschrieben werden. Terrororganisationen sind nicht nur Ursache, sondern vor allem Folge der Konflikte und Kriege. Keine Religion kann diese Phänomene akzeptieren. Und europäische Muslime sind dafür nicht verantwortlich – auch nicht verantwortlich zu machen.
Vielmehr führe die falsche Vorstellung vom Islam als rein politisches oder rein juristisches System zu solchen gefährlichen und gewissenlosen Entwicklungen, wie dem Phänomen der salafistischen Strömungen.
Ebenso sei die Vorstellung von gesellschaftlicher Trennung in „Mehrheiten“ und „Minderheiten“ eine falsche Vorstellung, die den Wert jedes Einzelnen mindere. Alle, Muslime und Nichtmuslime, seien dazu aufgerufen, ihr Gewissen und ihre Gedanken einander zu öffnen, um die Möglichkeit eines gemeinsamen und friedlichen Zusammenlebens zu realisieren.
Ein solches gedeihliches Zusammenleben setze voraus, dass die Freiheit des Glaubens und der Glaubensausübung für alle gelte. Ebenso sei vorausgesetzt, dass die religiöse Erziehung und Ausbildung eine hohe Qualität aufweise und zu einem umfassenden und authentischen Verständnis der Religion beitrage. Weiterhin sei unverzichtbar, dass jede Glaubensgemeinschaft seine Gebetshäuser uneingeschränkt errichten und betreiben könne.
Wenn dies nicht gewährleistet ist, wenn Gläubige an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden, dann bilden sich Ghettos, in denen der Selbstbezug, aber auch die Beziehung zu anderen gestört ist.
Dass gerade aus Europa perfekt deutsch- oder englischsprachige junge Menschen sich den Extremisten in den Krisengebieten anschließen, hat also natürlich auch psychologische, soziologische und politische Komponenten.
Etwaige Kritik an der Diyanet und ihrer Entsendung von Religionsbeauftragten müsse auch vor diesem Hintergrund bewertet werden. Die religiöse Wissensvermittlung in Gemeinden mit Religionsbeauftragten der Diyanet führe dazu, dass aus solchen Gemeinden gerade keine Jugendlichen auf radikale Gruppen reinfielen. Sprache ist unbestritten ein wichtiges Kriterium, allerdings bedeutet Sprache (türk: dil) im Persischen gleichzeitig auch „Herz“, was auf die Komponente der Herzensansprache verweist. Dies ist ein wichtiger Aspekt in der religiösen Ansprache von Gläubigen.
Hierbei sei auch zu beachten, dass die Diyanet bereits seit 2001 und damit nahezu 10 Jahre vor der Gründung von islamischen Lehrstühlen an deutschen Universitäten, die Etablierung islamischer Theologie an deutschen Hochschulen durch die Stiftungsprofessur in Frankfurt fördere. Ebenso fördere die Diyanet mit ihrem Programm der „Internationalen Theologie“ seit 2006 junge Akademiker, die in ihren Geburtsländern im Gemeinde-Dienst zur Vermittlung religiösen Wissens beitragen.
Gerade wegen dieser Bemühungen beobachte die Diyanet auch die Entwicklung der islamischen Theologie in Deutschland sehr aufmerksam und wünsche sich eine intensiveren Fortschritt auf dem Gebiet der islamischen Methodenlehren und klassischen Disziplinen. Gegenwärtig konzentriere sich die Lehre eher auf pädagogische Aspekte. Die akademische Vermittlung islamischer Methodenlehre sei aber unverzichtbar bei der Erschließung islamischer Quellen.
Insbesondere die Muslime in Deutschland kooperieren seit 40 Jahren mit der Diyanet, und zeigen damit ein gutes Beispiel eines gedeihlichen Zusammenlebens. Denn die Diyanet, die Dienste für Muslime weltweit unterbreitet, ist nicht mit einem Missionierungsauftrag unterwegs, sondern ist vielmehr Botschafter des religiösen Wissens, mit dem sie das friedliche Zusammenleben zwischen Muslimen und Nichtmuslimen fördert und gerade nicht Störfaktor ist. Die Diyanet ist keine gewöhnliche Behörde, sie hat einen direkten zivilgesellschaftlichen Charakter. Damit ist ihre Tätigkeit keine Einmischung in innerstaatliche Angelegenheiten, sondern auf Anfrage eine religiöse Dienstleistung an Muslime weltweit. Damit ist das Verhältnis zwischen Religionsbeauftragen der Diyanet und den Muslimen kein hoheitliches Verhältnis, sondern eines der religiösen Wissensvermittlung.
Prof. Dr. Mehmet Görmez, Präsident der Diyanet, dankte allen Teilnehmern für den Austausch und insbesondere für die Einladung zur „Woche der Segensreichen Geburt“ durch die DITIB, die mit der Eröffnungsveranstaltung die europaweite Veranstaltungsreihe einläutet.
Das Thema der diesjährigen weltweit begangenen Woche der Segensreichen Geburt lautet „Die Welt ist uns, wir sind einander anvertraut: Unser Prophet und die Ethik des Zusammenlebens“, zu dem Prof. Görmez, Präsident der Diyanet, bei der anschließenden Eröffnungsveranstaltung in der Kölner Lanxess Arena mit über 16.000 Gästen einen Vortrag hält.
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