Offener Brief zu den Äußerungen von Bundesinnenminister Friedrich

Köln, 07.03.2011

Es wäre uns eine Freude, unserem neuen Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich zu seiner Benennung uneingeschränkt zu gratulieren und unsere Glückwünsche nicht in dem Schatten auszusprechen, den seine Worte auf die Muslime und den Islam insgesamt geworfen haben. In seiner Funktion als Bundesinnenminister wird Herr Friedrich insbesondere auch im Rahmen der Deutschen Islamkonferenz mit Fragen des Islams in Deutschland und mit der Lebensrealität der Muslime zu tun haben. Ihm wird in diesen Fragen eine nicht zu unterschätzende Verantwortung zuteil.
 

Die Deutsche Islamkonferenz etwa hat bereits viele grundlegende Debatten zu der besagten Frage aufgeworfen und diskutiert. Auch die DITIB ist ihrer Verantwortung in dieser Frage gerecht geworden und hat zum Fortschreiten des Gesamtdiskurses beigetragen.
 

Umso problematischer erscheint in diesem Licht die Aussage Herrn Bundesinnenminister Friedrichs, mit der viele Debatten wieder auf einen Anfangsstatus zurückversetzt werden.
 

Die Frage nach der historischen Verortung des Islams in Deutschland ist an dieser Stelle vielleicht grundlegender zu beantworten, auch wenn eine einigermaßen solide Kenntnis europäischer Kulturgeschichte dies erübrigen würde. Denn, dass der Islam sowohl in seiner theologischen Ausgestaltung, als auch in dem Prozess der Zivilisation, den er eingeleitet hat, Europa befruchtet hat und Epochen, wie etwa die Renaissance, Kulturgüter wie etwa die Werke des antiken Griechenlands, ohne die islamische Welt nicht denkbar gewesen wären, sollte allseits bekannt sein. Des Weiteren ist die sehr frühe Exzellenz der islamischen Welt in den Bereichen Mathematik, Medizin, Astronomie, Physik, Chemie, Geographie und Technik weitgehend bekannt. Namen wie Averroes oder Avicenna sind über Jahrhunderte hinweg die Klassiker europäischer Wissenschaft geblieben. Die Forschungszentren Cordoba und Toledo, die Kunst in Alhambra sind weitere Begriffe, die eine Welt von islamischer Gegenwart in Europa bezeichnen.
 

Dass die Stadtkultur schlechthin nicht wenig der islamischen Gegenwart in Europa zu danken hat, sollte auch nicht unbekannt sein. Bibliotheken, Schulen, Krankenhäuser und Bäder der frühen Städte sind der islamischen Welt zu danken. Eine Geschichte Europas ohne die starken Impulse aus der islamischen Welt zu denken, ist mehr als mangelnde Geschichtskenntnis.

 

Es wird nicht erkannt, dass selbstverständlich Zivilisationen, Kulturen und Religionen sich beeinflussen und man die Geschichte einer Region und schon gar nicht eines Landes von dieser Zirkulation gesondert denken kann. Deshalb ist nicht nur die Geschichte Deutschlands, sondern auch die Geschichte des Westens ohne den Islam nur eine unvollständige Geschichte.
 

Auch in der Gegenwart ist der Islam nicht lediglich über die Anwesenheit von Muslimen Teil Deutschlands. Vielmehr ist der Islam als Religion und als kulturelles Erbe auch Mitgestalter der modernen Welt. Die Wertewelt, die Religionen konzipieren und für ihre Gläubigen geltend machen, geht ein in einen Gesamtwertekonsens, der von allen Seiten tragbar ist. Dass auch die muslimische Welt Werte wie Freiheit, Menschenwürde, Menschenrechte und einen Pluralismus von vielen Kulturen, Religionen und Akteuren nicht nur anerkennt und übernimmt, sondern aus ihrer inneren Dynamik produziert, sollte mindestens nach den aktuellen Geschehnissen in der islamischen Welt deutliche geworden sein.
 

Neben den Beziehungen mit der Islamischen Welt in der Geschichte Deutschlands, sind auch vielfältige Forschungsarbeiten auf dem Gebiet der Islamwissenschaften durchaus vorhanden. Über dies hinweg sind in den letzten Jahren bezüglich Etablierung islamischer Theologie an deutschen Hochschulen und der Einführung bekenntnisorientierten, islamischen Religionsunterrichts nach jahrelangen Bemühungen konkrete Ergebnisse zu verzeichnen. Und wie könnten über 4 Millionen muslimischen Gläubigen und über tausend muslimischen Gotteshäuser in Deutschland verortet werden, wenn nicht als Teil Deutschlands? Ist dies denn nicht auch Ausdruck dessen, dass über die Gegenwart muslimischer Religionsgemeinschaften auch institutionell der Islam nicht nur ein wichtiges Thema, sondern eben auch ein Teil Deutschlands ist?
 

Angesichts all dessen ist zu fragen, wie haltbar die Aussage des Bundesinnenministers ist. Diese übrigens wurde ja auch seitens der Presse und durch viele weitere Stimmen ernsthaft hinterfragt. Stellenweise ließe sie sich auch entlarven als ein parteipolitischer Akt, dessen Maß an Diskriminierung jedoch kaum zu unterschätzen ist und am wenigsten sich dem Amt des Bundesinnenministers ziemt. Doch ist die Aussage vielleicht auch als eine programmatische zu betrachten. Als Hinweis darauf, wie Herr Friedrich seine Politik in Bezug auf die Muslime in Deutschland gestalten möchte. Etwa, dass es ihm mehr um die Menschen in Deutschland geht, als um die Religion, mehr also um die Muslime, denn um den Islam und dass er sich der gesellschaftlichen Gegenwart der Muslime annehmen werde, nicht ihrer 'historischen Religiosität', wie es in dieser Logik wohl heißen müsste. 
 

Eine anschließende Frage, wolle man denn nicht missverstehen, sei auch gestellt: Was ist denn die Konsequenz dieser Äußerungen? Öffnet dies denn nicht religiöser Diskriminierung Tür und Tor, vor die das Grundgesetz uns alle gleichermaßen schützt?

 

Wenn also das Säkularitätsprinzip Deutschlands bedeutet, neutral den Religionsgemeinschaften gegenüber zu stehen, und ein grundsätzlich positiv zugewandtes, einträchtiges Verhältnis zu ebendiesen zu pflegen, darin ausgewogen und gleich bleibend zu agieren, um eben gerade der religiösen Pluralität gerecht zu werden. Und wenn Muslime als Teil und Ausdruck dieser Pluralität in unserer Gesellschaft sich als Religionsgemeinschaften organisieren und auch als solche einbringen, stellen denn dann diese ausgrenzenden Äußerungen im verschobenen Staats-Religions-Verständnis nicht eine Verletzung des grundgesetzlich garantierten Gleichheitsprinzips dar? Welche Zukunftsoptionen bieten diese historischen Platzverweise den deutschen Muslimen und ihren Glaubensgemeinschaften? Unter welcher Prämisse ist denn dann noch die Rede von einem pluralistischen Miteinander für eine gemeinsame, starke Zukunft?

 

Wie auch immer, die Aussage hat bereits kränkend unter den Muslimen gewirkt und einen nicht unerheblichen Teil ihrer Identität verkannt.



Vorstand
DITIB Dachverband

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