Gedenken für die Opfer rechtsextremistischer Gewalt

Mit einem Schlag steht alles still. Schlag 12:00 Uhr am 23.02.12
Symbolisch, eine Minute Schweigen zum Gedenken.
Symbolisch, zur Solidarisierung mit den Opfern und ihren Angehörigen.
Symbolisch, um sich als Teil eines Ganzen zu empfinden und Betroffenheit zu zeigen.
Symbolisch, um inne zu halten und zu entschleunigen.
Deutschlandweit.

Und dann drängen sich unweigerlich Fragen auf:

Wie konnte das Unfassbare, diese sinnlosen Morde eigentlich passieren? Hier, mitten unter uns, mitten in Europa? Wie groß muss der erneute Schmerz der Angehörigen zum jetzigen Zeitpunkt sein? Was ist ein Menschenleben wert und wie viel Trauer ist angemessen? Summiert sich die Trauer und Betroffenheit, wenn mehrere Menschen sinnlos mordenden Rassisten zum Opfer fallen? Sind ein Staatsakt und deutschlandweite Trauerbekundungen, eine Schweigeminute und religiöse Fürbitten hinreichend? Wie ist darüber hinaus der allgemeinen Verbitterung vor allem unter türkischstämmigen Migranten und Bürgern dieses Landes zu begegnen? Wie ist den Verunsicherungen und dem Vertrauensverlust ins System zu begegnen?

Die Diskussionen um den Staatsakt und die Gedenkveranstaltung mögen nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie mehr als angebracht sind. Denn dieses Gedenken spenden Trost, Hoffung und Kraft, macht es doch die Schwere und Unfassbarkeit des Geschehenen auf vielen Ebenen und für unzählige Akteure deutlich und haben dahingehend eine starke Leuchtkraft.

Neben dem Gedenken an die unschuldigen Opfer, gibt dieser Staatsakt den Opfern und den Familienangehörigen gewissermaßen die Würde und Achtung zurück, die in den begleitenden Ermittlungspannen um die terroristische Mordserie und den vorhergehenden öffentlichen Darstellungen in der erniedrigenden und herabwürdigenden Wortwahl „Dönermorde“ gipfelte.

Dieser rechtsterroristischen Schandtaten sind nicht wieder gutzumachen, zumindest nicht an den Mord-Opfern. Wohl aber daran, wie diese terroristische, menschenverachtende Übergriffe Eingang findet in die gegenwärtige und zukünftige Wahrnehmung des Geschehenen.

Dies ist ein trauriger Tag für Deutschland, stellt er doch eine Zäsur für ein ausnehmendes und brisantes Ereignis dar, sowohl in Anbetracht der Mordserie, der amtliche Versäumnisse und des behördlichen Versagens, aber auch darin, wie dieser Mordserie begegnet wurde und wird. Dieser staatliche Gedenkakt sucht die öffentliche Versöhnung zwischen Opfern, Betroffenen und Institutionen.

Allem voran gemahnt dies an die gegenseitige Verantwortung über Politik, Medien, Zivilgesellschaft, Bürgertum, bis hin zu ihrem kleinsten Nenner, dem einzelnen Bürger selbst.

Das Geschehene gemahnt stete Wachsamkeit und Aufklärung, vor Allem die fürsorgliche Vermittlung, Achtung und Verfechtung der Werte im Grundgesetz.

Polarisierung und Polemisierung verschiedener Themen über ethnischen, religiösen und kulturellen Minderheiten haben sicherlich ihren Anteil daran, dass gefährliche Tendenzen im Nationalismus und Eurozentrismus über militante, gewaltbereite Bewegungen hinaus auch zunehmend in Form von Rassismus und Islamfeindlichkeit in der Mitte der Gesellschaft ankommen. Dagegen gilt es, Zeichen zu setzen und Sensibilitäten zu entwickeln. Die Spitzentreffen von Vertretern der Zivilgesellschaft im Bundesinnenministerium und der staatliche Gedenkakt, die vielzähligen Distanzierungen und öffentlichen Auftritte sind in diesem Zusammenhang wichtige Schritte, für sich allein gesehen ohne die notwendige Einbettung jedoch nur wenig wirksam.

 

Denn nach Aufdeckung der NSU-Terrorzelle ist mehr als nur eine konsequente Aufklärung notwendig. Die Sicherheitsorgane und nicht zuletzt auch der Staat haben einen herben Vertrauensverlust in puncto Innerer Sicherheit zu verzeichnen. Damit dieser Vertrauensverlust die Beziehung zwischen dem Staat und seinen Bürger nicht dauerhaft beschädigt, müssen ohne weitere Verzögerungen wichtige Fragen beantwortet, notwendige Maßnahmen ergriffen und vertrauensbildende Arbeiten vollzogen werden.

 

  • Informationsfluss zwischen der Politik und der Öffentlichkeit ist zu intensivieren: Die
    Öffentlichkeit wird vermittelt über die Medien informiert, weniger direkt durch entsprechende Institutionen und ihre Akteure
  • Die mangelnde, direkte Informationspolitik der Sicherheitsbehörden sich nicht geeignet, den Vertrauensverlust auszugleichen und dem Sicherheitsbedürfnis der Bürger zu entsprechen.
    Hier besteht dringender Handlungsbedarf.
  • Transparenz über die Taten und deren Strafverfolgung auf staatlicher und juristischer Ebene
    ist notwendig, um dem Wunsch nach schnelle Klärung nachzukommen.
  • Es ist nicht nachvollziehbar, wie dieses Terrornetzwerk über Jahrzehnte hinweg unentdeckt mordend durch Deutschland ziehen konnte. Nach wie vor stellt sich die dringende Frage
    nach Hintermännern und Unterstützern auf organisatorischen Ebenen.
  • Bisher ist von keiner Stelle bzw. Institution Verantwortung für die Ereignisse übernommen worden, noch folgten Schuldeingeständnisse oder personelle Konsequenzen.
    Dies kann für laufende Ermittlungen, mangelnde Aufklärungsbereitschaft oder fehlendes Verantwortungsbewusstsein sprechen. Um Spekulationen zu vermeiden,
    ist auch hier Transparenz notwendig.
  • Einige Fälle sind im Rückblick neu aufzurollen und zu untersuchen. Dies ist bisher nicht im ausreichenden Maße geschehen.
  • Insgesamt scheinen die Reaktionen derzeit mehr auf der symbolischen Ebene verhaftet
    zu bleiben, wobei die Fragen nach systemischer und symptomatischer Ebenen ebenfalls dringend und drängend bleiben.
  • diese Taten sind als „organisierter Terrorismus“ zu bezeichnen und dementsprechend
    sind geeignete Maßnahmen zu ergreifen.
  • Neben den notwendigen Präventivmaßnahmen sind auch vertrauensbildende Maßnahmen
    zu fördern, die dieses gesellschaftliche Trauma lindern und die Wunden schließen.

Selbstredend können alle offenen Fragen nicht mit einem Mal beantwortet werden. Auch dürfen Maßnahmen nicht in blindem Aktivismus vollzogen werden. Aber es braucht dringend Ansätze, die Hoffnung machen, dass dies auf lange Frist gelingen wird. Denn diese rechtsterroristische Tatserie hat ein bitteres Alleinstellungsmerkmal, dass sich von anderen Untaten in Deutschland deutlich abhebt und viel tiefere, zerstörerische Wirkung entfaltet, nicht zuletzt vor Allem auf das gesellschaftliche Zusammenleben und das individuelle und öffentliche Vertrauen.


So wollen wir denn heute den Gedenkakt, eine Schweigeminute, einen Moment der Stille und Fürbitte vollziehen. Für die Getöteten, für die Angehörigen und für die Solidargemeinschaft.

Auch, um damit einen Ausblick für ein gelebtes, gesellschaftliches Miteinander zu schaffen, das in guten und schlechten Zeiten füreinander steht. Diese Zuversicht mag uns gemeinsam in eine menschenwürdige Zukunft tragen.


Vorstand
DITIB-Dachverband

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