Religiöse Hochfeste eröffnen uns in der modernen Gesellschaft, in der wir leben, nicht nur eine immaterielle Dimension in unserer sonst auf Materie ausgerichteten Wahrnehmung. Sie führen uns auch gleichzeitig wieder Traditionen näher, die auch heute noch vorbildhaft und von Symbolwert sind, und spenden dem modernen Menschen Freuden, an denen er sich festhalten, diese mit anderen teilen und um diese sich mit anderen Menschen zusammen finden kann.
Alle beiden religiösen Hochfeste im Islam sind zunächst das persönliche Erlebnis des einzelnen Individuums mit seinem ummittelbaren Umfeld. Sodann lassen sie die Gläubigen sich und ihre Mitmenschen aus materieller Hinsicht universal denken, in immateriell-geistiger jedoch wahrnehmen und bestätigen die Einheit, das Einsein des Schöpfers und dass alles Seiende seine Existenz nur Ihm verdankt und damit insgesamt gewahren und formulieren eine metaphysische Welt.
In diesem Sinne sind uns unsere religiösen Hochfeste - auch und gerade in unserer innerlichen Vorbereitung auf diese - individuell aber auch als Gesellschaft eine Reinigung und Läuterung. Sie lassen uns wieder fühlen und zusammen rücken. Dieses Zusammenrücken im Geiste und im Handeln lässt uns unseren Platz in der Geschichte, den religiösen Traditionen und ihrer metaphysischen Bedeutungswelt, in Gesellschaft und in der Welt erneut finden und uns hier einordnen. Das Verantwortungsbewusstsein, das um diese Gefühle sich entwickelt, lässt Muslime auf ihrer Suche, rechtschaffen zu handeln sowie Fehler und Sünden zu vermeiden, nicht nur das irdische Leben fokussieren, sondern auch und gerade das Jenseits, die ewige Wohnstätte.
Am intensivsten wird die universale Botschaft des Islam, die die Menschen und Gesellschaften zusammen rücken lässt sowie ihre Werte und Kulturen, dort gelebt, wo die Menschen der Einladung des Propheten Abraham folgend hinströmen, um hier das Haus Gottes, die Kaaba, zu umrunden – in Mekka. Alle Gläubigen, ganz gleich welcher Hautfarbe oder Herkunft sie sind, gehen hier - alle möglichen irdischen Unterscheidungsmerkmale wie Rang und Namen ablegend - auf in einer Gleichheit, die sie zum Teil eines universalen Ganzen werden lässt. Im Gottesdienst der Pilgerfahrt manifestiert sich somit die Realität, dass wir vor dem Schöpfer und in der Würde des Menschen gleich sind.
Jeder Pilger wird als Gast des Erbarmers, der er hier ist, in der immateriell-geistigen Atmosphäre der Heiligen Stätten gleich mit seinen Geschwistern im Glauben, die für ihn so wichtig und wertvoll sind wie die Kaaba. Auch Bittgebete, die die Gläubigen hier beim Umrunden der Kaaba sprechen, erzählen von dieser Einheit, der Brüderlichkeit und der Ergebung des Menschen. Ein jeder betet hier um die Vergebung seiner Sünden, um seine Läuterung und schließlich darum, dass er nicht nocheinmal dieselben Fehler begeht. Sie beten hier darum, dass sie Glück im Dies- und im Jenseits erlangen, den Menschen Nutzen und Wohl bringen und sie beten für Frieden weltweit.
Auch die Stimmen der Pilger aus Deutschland mischen sich in diese Gebete, wenn sie hier für sich selbst beten, aber auch für alle anderen Muslime. Wenn sie für ihre Vergebung beten oder darum, dass sie zu vollkommenen Menschen werden, vollkommen im Charakter, wie der Islam ihn beschreibt. Wenn sie darum beten, in einer Atmosphäre zu leben, in der keine Missverständnisse mehr herrschen, sondern Frieden und Eintracht. Und wenn sie schließlich dafür beten, dass auch in Deutschland die Einheit in Vielfalt, wie sie sie gerade in den Heiligen Stätten vorfinden, gestärkt wird.
In diesem Sinne wünsche ich allen meinen Glaubensbrüdern und -schwestern in Deutschland aber auch in der ganzen islamischen Welt ein gesegnetes Opferfest. Möge dieses uns allen sowie der ganzen Welt Wohl und Glück bringen.
Prof. Dr. Ali Dere
Vorsitzender der DITIB