Köln, 15.03.2011
Bei dem Versuch, rechtlich gegen den Tatbestand der Zwangsverheiratung vorzugehen, wird das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Bei rechtlichen Fragestellungen und Gesetzesentwürfen sollte immer die Menschenwürde und die sozialen und psychologischen Auswirkungen für die gesellschaftliche Ordnung und das Individuum gleichermaßen beachtet werden. Zwangsverheiratungen haben traditionelle und soziale Ursachen, die für Betroffene weit reichende Folgen haben und damit psychologische, aber auch soziale Auswirkungen. Dagegen zu agieren ist begründet, so denn die Lösungsansätze nicht neue Probleme schaffen.
Nicht schwer zu erkennen scheint, dass in dem „Gesamtpaket 17/4401“ unter der Überschrift Zwangsverheiratung, vor Allem aber im Änderungsantrag dieser Aspekt nur scheinbar im Vordergrund steht, unterschwellig aber die Familienzusammenführung erschwert oder gar unterbunden werden soll. Insbesondere durch den Änderungsantrag werden -soziale und psychologische Auswirkungen negierend- schlichtweg Ausgrenzungspolitik betrieben, sozio-politisch vielschichtige Probleme inszeniert und neue Konflikte lanciert.
Lösungsansätze, die neben der erleichterten Wiederkehrmöglichkeit zeitgleich die Ehebestandszeit von zwei auf drei Jahren erhöhen, obwohl bekannt ist, dass die Zahl der Scheinehen laut polizeilicher Kriminalstatistik stark zurückgegangen ist, sind Ausdruck dessen. Wir befürchten, dass durch diese Änderungsvorschläge insbesondere Frauen zukünftig sich um den Aufenthaltsstatus mehr sorgen müssen. Wie die bisherige Praxis aus der Beratungstätigkeiten aller Träger in der Wohlfahrtsarbeit auch der DITIB gezeigt haben, geraten Frauen in innerehelichen Gewaltsituationen rechtlich in Schwierigkeiten, weil die Härtefallregelungen insbesondere bei psychischer, aber auch physischer Gewalt auf Grund der Beweislast oft keine Anwendung finden. So wird die Politik das eigentliche Ziel verfehlen.
Den Änderungsantrag vom 07.03.11 sehen wir als Ausdruck des periodischen Realitätsverlustes in der aktuellen Migration- und Integrationsdebatte, als politischen Aktionismus. Wir stellen fest, dass der Vorschlag, die Aufenthaltserlaubnis jeweils höchstens auf einem Jahr zu befristen, solange ein Integrationskurs nicht erfolgreich abgeschlossen wird, auf Bestätigung des Vorurteils abzielt, Migranten seien integrationsunwillig. Laut Angaben des BAMF dagegen werden die Integrationskurse gut angenommen. Die vorhandenen Regelungen reichen völlig aus, die Neuzuwanderern zum Erlernen der deutschen Sprache zu motivieren, wenn diese entsprechend angewendet werden.
Integration schaffen wir durch Fordern und Fördern, das Gegenteil durch weitere Verschärfungen der Rechtslage. Eher zu begrüßen wären Maßnahmen, die die vorhandenen Angebote passgenau ausbauen und insbesondere im ländlichen Gebieten den Start eines Integrationskurses ohne längere Wartezeiten ermöglichen. Die Vorstellung, Deutsch wäre innerhalb eines Jahres für alle Lerntypen auf B1-Niveau zu erlernen, kann nicht als wohlwollende Integrationsförderung akzeptiert werden, zumal die derzeitige Angebots- und Fallbearbeitungszeit dies nicht ermöglichen.
Integrationspolitik darf nicht zur Gängelungs- und Abschreckungspolitik verkommen. Sprachkompetenz ist unumstritten eine wichtige Schlüsselkompetenz, allein die strukturelle und soziale Integration wirkt nachhaltiger und ist daher zu fördern. Dabei müssen Forderungen realisierbar gestaltet werden, damit die Zielgruppen dies als positiven Impuls umsetzen und im besten Fall nicht nur einen Nutzen für sich darin entdecken, sondern auch eine Würdigung und Anerkennung im strukturellen und sozialen Sinne erfahren. Integration verstehen wir als ein Prozess des Lernens und aufeinander Zugehens, der jedoch nicht an pädagogischen, psychologischen und soziologischen Realitäten vorbei gehen darf. Fakt ist, dass mit der Verschärfung des Zuwanderungsgesetzes die Hürden für Neuzuwanderer pauschal höher gesetzt werden, dass zeitgleich rigide Ausnahme- und Härtefallregelungen weder der Altersstruktur, noch der Bildungsstruktur Rechnung tragen. Gerade im Zusammenhang mit der Familienzusammenführung sind ethische Maßstäbe anzusetzen, die nicht mit einem B1-Zertifikat zu ersetzen sind. Hier sind humanistische Ansätze und universelle Rechte gerade in der Familienzusammenführung abzuwägen.
Fordern und Fördern in der Integration muss heißen, konstruktive Lösungsvorschläge zu unterbreiten und damit die Motivation und Offenheit für den Integrationsprozess bei Zuwanderern und Aufnahmegesellschaft gleichermaßen zu gewährleisten. Auf Kosten der Migranten schnell noch auf Stimmfang zu gehen, mag kurzfristig ins politische Kalkül passen, hat sich in der Integrationspolitik der letzten Jahrzehnte jedoch nicht als förderlich erwiesen.
Wir fordern die Volksparteien dazu auf, am 16.3. in der Beratung im Innenausschuss begründete Sorgen und Befürchtungen zu berücksichtigen und spätestens im Bundesrat entsprechende Entscheidung zum Wohle der Migranten und Integration zu fällen.
Rechtlich gegen Zwangsehen vorzugehen, und dabei Betroffene zu diskreditieren und in die Ecke zu drängen, ist nicht nur inhuman und inkorrekt, sondern auch wenig zielführend. Hier ist die Notwendigkeit erkennbar, präventiv und aufklärend gegen eben jene traditionellen und sozialen Ursachen, die keinesfalls religiös begründbar sind, anzuarbeiten. Gleichzeitig muss dies aber auch heißen, dass nicht jede im Ausland geschlossene Ehe unter den Generalverdacht einer Zwangsehe gestellt werden kann.
Vorstand
DITIB-Dachverband