Mit dem heutigen Tage erreichen wir ein weiteres Mal das Opferfest und damit unser religiöses Hochfest, das uns nicht nur die Gelegenheit bietet unsere Freude zu teilen mit den Anderen und sie teilnehmen zu lassen an unseren Möglichkeiten, sondern uns auch gleichzeitig mit seiner Bedeutung und seiner Symbolkraft zurückwirft in die Geschichte und hier die Tradition der Propheten. Unendliches Lob und unendlicher Dank seien unserem Herrn, der uns Leben, Gesundheit und Dasein gegeben und somit ein weiteres Opferfest zu erleben ermöglicht hat, der uns des Weiteren die Ehre zuteil werden ließ, der Religion anzugehören, die alle Propheten verkündet haben und damit Teil dieser Ahnenreihe der Propheten zu sein.
Wer in Erfüllung eines Gottesdienstes ein Tieropfer darbringt und den Hadsch, die Pilgerfahrt nach Mekka macht, folgt damit der Tradition des Propheten und Urahnen unseres Propheten (Allah segne ihn und schenke ihm Heil), Abraham, der ein „Hanif“ war, einer, der sich statt zu der ihn umgebenden falschen zur wahren Religion bekennt, die sich dem Menschen, kraft seiner Veranlagung Gott zu erkennen, von selbst erschließt. Er entzieht sich durch diese Gottesdienste der materiellen Dimension des irdischen Lebens, die uns von Zeit zu Zeit die Augen und die Herzen versiegelt, unsere Sinne und unsere Gedanken einschränkt, uns das Unendliche und Schöne vergessen und dem Falschen hinterher rennen lässt, und erneuert sich vielmehr in der geistigen Dimension und der der Erkenntnis, indem er sich aufrüttelt und rückbesinnt.
Mit Bedauern stellen wir fest, dass der Mensch - entgegen den Geboten und dem Willen unseres erhabenen Herrn, der unser aller Schöpfer ist und der jedem Menschen, ganz gleich wer oder was er ist, einen unabänderlichen, ihn bei Sich mit allen anderen Menschen gleich setzenden Wert beigemessen und ihm das Grundprinzip der Würde sowie dessen Unantastbarkeit geschenkt hat - in einigen Gesellschaften, ganz gleich welchen Zivilisationsgrad diese auch haben, stets vernachlässigt, ja sogar missbraucht wird, wenn er der einen oder der anderen Ideologie, dem politischen Kalkül oder irgendwelchen fingierten Thesen über Religions- und Kulturkämpfe geopfert wird.
Dabei lehrt uns das „Opfer(tier)n“ in der Geschichte der Propheten Abraham und Ismael, dass der Mensch selbst für den Herrn, den höchsten Schöpfer, der uns Leben und Lebensunterhalt schenkt, nicht geopfert werden kann. Es lehrt uns, dass dem Menschen unter den und für andere Menschen kein Schaden zugefügt, ihm kein Leid zugeführt werden darf, und statuiert damit ein Exempel für die Liebe zum und den Schutz des Menschen.
In der Geschichte von Abraham steht das Opfern für die Erfüllung eines Versprechens an Gott, für das Vertrauen in Verbundenheit und Treue zu Ihm sowie die Belohnung hierfür. Es steht dafür, Treue und Wort zu halten, so schwer dies auch fällt und Versprechen einzulösen. Denn dass Gott Seine Versprechen hält ist uns bekannt; wir begreifen anhand dieser Geschichte nur einmal mehr, wie wichtig es ist, unser Wort zu halten.
Der Koran lässt uns wissen, dass es weder das Fleisch noch das Blut der Opfertiere ist, das Gott erreicht, sondern lediglich unsere Haltung Ihm gegenüber sowie unsere Absicht, mit anderen Worten unsere Ehrfurcht und unsere Frömmigkeit. Er gemahnt uns damit ein weiteres mal, uns zusammen zu nehmen und zu vergegenwärtigen, dass wir allzeit vor der Gegenwart unseres Herrn uns befinden und stets gute Gedanken und Absichten zu hegen.
Das Opfern steht im Islam nicht für das Opfern der Tiere, um damit Gott nahe zu kommen, sondern in seiner Symbolik vielmehr dafür, sich noch einmal in Erinnerung zu rufen, dass der Mensch für nichts geopfert werden kann, er in einem Treueverhältnis zu seinem Herrn steht, gespeist aus dem Gefühl, allzeit vor Seiner Gegenwart sich zu befinden.
In diesen Tagen nun, in denen wir ein weiteres Opferfest begehen, sollten wir uns diesen tieferen Sinn des Festes vergegenwärtigen, versuchen uns zu erneuern und diese Werte, die der Islam uns und der ganzen Menschheit mitgegeben hat, auf ein Neues zu begreifen.
In der Hoffnung, dass der Wert und der Respekt, der dem Menschen zusteht sowie die menschenzentrierte Politik und Handlung auf individueller, gesellschaftlicher und staatlicher Basis zur obersten Priorität werden, dass die Interessen Außen vor gelassen werden können und Freundschaft sowie geschwisterliche Verbundenheit unter den Menschen sich noch weiter entwickeln, dass insbesondere in allen Teilen der deutschen Gesellschaft, in der wir leben und deren Teil wir sind, das Prinzip dieser Brüderlichkeit Eingang und Verbreitung findet und dieses unsere Gesellschaft zu einer solchen formt, in der es keine Vorurteile mehr gibt und hier vielmehr Sicherheit und Verantwortungsbewusstsein herrschen, wünsche ich uns allen aus tiefstem Herzen noch viele solcher bedeutsamen Feste und Festfreuden.
Prof. Dr. Ali DERE
Botschaftsrat für Religionsangelegenheiten