Köln, 23.04.2020: Morgen empfangen wir Muslime den segensreichen Ramadan betrübter denn je, den wir normalerweise mit viel Sehnsucht, Zuversicht und Freude erwarten. Der Ramadan ist eine intensive Zeit, eine festliche Atmosphäre in Gottergebenheit, die uns Muslimen die Möglichkeiten der Läuterung und Erneuerung schafft, die eine tiefe und intensive Sicht auf die Existenz Gottes gewährt.
In dieser Zeitspanne, die segensreicher noch ist als tausend Monate, stärkt sich unsere Hoffnung in Allah, gleicht der prallen Sonne, durch die die Natur in den Frühling erwacht. Der Ramadan ist der Frühling der Muslime, in dem sie ihre Gebete um Nächstenliebe, Vergebung und reichlichen Segen an Gott richten. In Ramadan begann die Offenbarung des Koran, in ihm suchen die Muslime die gesegnete Nacht der Bestimmung (Kadir Gecesi, Laylatu´l Qadr) und in ihm entrichten Muslime ihre Zakat (Armensteuer) - jedoch dieses Jahr mit deutlich mehr Entbehrung.
Wir werden dieses Jahr tagsüber nicht nur auf das Essen, Trinken und andere körperliche Genüsse verzichten, sondern auch auf die Sozialisierung, die uns der Ramadan durch gemeinsamen Iftar (Fastenbrechen), Muqābala (Koranrezitation), Tarāwīh-Gebet und erbauliche und tröstende Predigten. All dies ist besonders im Ramadan zentral und hilft uns auf unserem Weg zu einem guten Muslim mit ethischen und moralischen Werten. Diese Entbehrungen werden viele Gläubige in ihrem Glauben und ihrer Verbindung zu Gott wohlmöglich ertüchtigen, vielen anderen hingegen, die den Fastenmonat als intensivierende Beziehung zu Allah erleben, eine schmerzhafte Erfahrung sein.
Aus gegebenen Anlass sucht die DITIB, auf Grund der Pandemie in unserem Lande, die starke Beschränkungen mit sich brachte, dieses Jahr unter dem Motto „Ramadan und Verantwortungsbewusstsein“ den Weg zu den Muslimen durch vielfältige, alternative Kommunikationsmöglichkeiten. Die diesjährige Muqābala (Koranrezitation) werden mit exzellenten ḥuffāẓ (Koranrezitatoren, die den gesamten Koran auswendig können) und das Iftar-Programm „Ramadan in Europa“ in unseren sozialen Medien und im Fernsehen über Kanal Avrupa während des gesamten Ramadan täglich ausgestrahlt. Zudem wird die religiöse Bildung von Kindern und Jugendlichen in unseren Medienangeboten fortgesetzt. Wir bieten in den Tagen der Isolation vermehrt Beratungen über unsere Telefonseelsorge, insbesondere für Familien.
In der Fastenzeit erkennt der Muslim seine Bedürftigkeit und sieht die Not, die er in seinem Wohlstand zuvor nicht bemerkt und nachempfinden kann. Somit wächst Wohltätigkeit und humanitäre Hilfe als untrennbarer Bestandteil der muslimischen Religionspraxis und ist die natürliche Konsequenz der Erfahrungen im Ramadan.
Auch wir nutzen als Religionsgemeinschaft diese Gelegenheit, um bedürftigen Menschen nicht nur in der Nachbarschaft, sondern weit darüber hinaus weltweit, insbesondere in Kriegs- und Krisengebieten, Hilfsangebote und Spenden zukommen zu lassen. Die Pandemie hat die humanitäre Notlage in vielen Teilen der Welt weiter verschärft, was uns dazu auffordert, solidarisch zu handeln.
DITIB-Gemeinden hatten bereits kurz vor den Erlassen der Bundesregierung zur Eindämmung der Ausbreitung der Pandemie Beschränkungen der gemeinschaftlichen Gottesdienste vorgenommen, um das höchste Gut der Gesundheit unserer Gemeindemitglieder und unserer Gesellschaft zu schützen. Die Pandemie hat uns vorgeführt, dass es falsch ist, das Leid anderer in Krisen-, Konflikt- und Kriegsregionen zu ignorieren. Denn es war nur eine Frage der Zeit, wann auch wir betroffen sein würden. Die Pandemie schaffte eine Krise ungeahnten und unbekannten Ausmaßes, die noch lange nachwirken wird. Der Covid-Virus und die dazugehörigen Bewährungsproben sind längst nicht überstanden und haben Auswirkungen globalen Ausmaßes.
Diese schweren Zeiten sind eine Herausforderung für jede und jeden. Wann, wenn nicht jetzt, ist Glaube wichtig? Religion spendet Menschen Hoffnung und Kraft. Deshalb sahen wir uns mit Beginn der Einschränkungen in der Verantwortung, alternative Möglichkeiten für unsere Gemeindemitglieder zu entwickeln. Die Bewältigung der Herausforderung der Pandemie führen wir auch im KRM (Koordinationsrat der Muslime) auf Landes- und Bundesebene fort. Die Gespräche mit den Regierungen geben uns Zuversicht auf eine etappenweise Öffnung unserer Moscheen. Wir erarbeiten im KRM gemeinsam ein Konzept für die Öffnung der Moscheen für Gemeinschaftsgebete und der intensive Austausch mit Bund und Ländern wird darüber entscheiden, wann und wie wir die gemeinschaftlichen Gottesdienste wieder aufnehmen können.
Muslime werden die gemeinschaftlichen Fastenbrechen schmerzlich vermissen. Die Iftar- Zusammenkünfte mit der Familie, den Verwandten, Freunden und Nachbarn und die Begegnungen in der Moschee werden fehlen. Für viele Menschen ist das Fastenbrechen in der Moschee ein unverzichtbares soziales Ereignis, denn es bietet insbesondere alleinlebende, bedürftige, studierende und ältere Menschen einen gesellschaftlichen Rahmen, die besondere Atmosphäre des Ramadan zu erleben.
Längst waren die gemeinsamen Iftar-Angebote fest etablierte Möglichkeiten der gesellschaftlichen und nachbarschaftlichen Begegnungen in den Kommunen – auch das werden wir schmerzlich vermissen.
Gleichwohl hat DITIB deshalb in ihren Gemeinden Projekte gefördert, natürlich unter Beachtung aller Schutzmaßnahmen, Menschen vor, in und nach der Ramadan-Zeit nicht alleine zu lassen. Unsere DITIB-Jugendverbände haben Nachbarschaftshilfen ins Leben gerufen, in denen sie alte und bedürftige Menschen helfen und mit ihrer Präsenz Hoffnung, Kraft und Trost spenden. Unsere Moscheegemeinden organisieren unter strenger Einhaltung von Hygiene-Standards und der Wahrung von Mindestabständen „Iftar To-Go“, damit Menschen warme Mahlzeiten zum Iftar zuhause erhalten.
Außergewöhnliche Situationen erfordern außergewöhnliche Maßnahmen. Deshalb lasst uns unter dem Motto „Ramadan und Verantwortungsbewusstsein“ gemeinsam nach Wegen suchen, uns dieser Herausforderung zu stellen und nicht nur gedanklich näher zu rücken, um solidarisch zu sein und zu bleiben.
In diesem Sinne beglückwünschen wir unsere muslimischen Geschwister deutschland- und weltweit zum gesegneten Monat Ramadan und wünschen ihnen und der gesamten Menschheit die Barmherzigkeit und den Segen Gottes, des Gnädigen und des Allerbarmers.
Möge uns in diesen schweren Zeiten, auch wenn gemeinsame Gebet und Iftar-Essen in den Moscheen bis auf weiteres nicht möglich sein werden, der segensreiche Ramadan Hoffnung, Mut, Gesundheit und Zusammenhalt bescheren.
DITIB-Bundesverband