KÖLN, 08.08.2016: Am 06.08.2016 sind die Vorstandsvorsitzenden der 15 DITIB-Landesverbände mit dem DITIB-Bundesvorstand zusammengekommen, um die aktuellen Entwicklungen zu bewerten und im Rahmen einer internen Beratung diesbezüglich Informationen und Meinungen auszutauschen.
Im Ergebnis dieser Zusammenkunft haben die DITIB-Landesverbände folgende gemeinsame Abschluss-Erklärung formuliert:
Gemeinsame Abschluss-Erklärung aller 15 DITIB-Landesverbände
In den letzten Tagen und Wochen erleben wir mit großer Sorge und Enttäuschung, wie weltpolitische Ereignisse dazu instrumentalisiert werden, die Arbeit und die Verdienste der DITIB, seiner Landesverbände und Gemeinden zu diskreditieren. Wir empfinden die Vorwürfe gegen unsere Religionsgemeinschaft als tendenziös, in einigen Teilen gar offen feindselig und in jedem Fall ohne Bezug zu unserer tatsächlichen Arbeit, mit der wir seit Jahren uns intensiv für ein friedliches und gedeihliches Zusammenleben in unseren jeweiligen Städten und unseren jeweiligen Bundesländern einsetzen.
Unsere Gemeindemitglieder fühlen sich falsch verstanden, falsch wahrgenommen und unfairen Vorwürfen ausgesetzt. Wir haben das Gefühl, eine solche ablehnende Haltung nicht verdient zu haben und können nicht nachvollziehen, warum nicht unser konkretes Engagement in unserer Stadtgesellschaft und unserem Bundesland zum Maßstab unserer Bewertung herangezogen wird, sondern Vorurteile und sachfremde Ressentiments.
Wir stellen fest, dass die Berichterstattung über die Türkei und die türkische Politik dazu instrumentalisiert werden, ohne tatsächliche Anhaltspunkte im Hinblick auf unsere Religionsgemeinschaft zu negativen Einschätzungen und Werturteilen über unsere Gemeinden hier vor Ort zu kommen. Ein solcher Reflex ist unangemessen und schadet unserem Zusammenleben.
Es mag in Teilen der Gesellschaft, der Politik oder den Medien eine tiefe Ablehnung gegenüber der Türkei bzw. der türkischen Politik geben. Dies mag für den jeweils Einzelnen begründete oder unbegründete Ursachen haben. Diese Ablehnung wird aber in unzulässiger Weise auf die DITIB-Gemeinden projiziert. Damit wird ein vermeintlich heteronomes, gefährliches Feindbild konstruiert, das nicht nur gedankliche oder sprachliche Auswirkungen hat, sondern unser Gemeindeleben und unser Sicherheitsgefühl erheblich beeinträchtigt.
Unsere DITIB-Gemeinden und jedes einzelne ihrer Mitglieder werden quasi zu fremdstaatlichen Gefährdern markiert. Eine solche ausgrenzende und diffamierende Stigmatisierung muslimischer Gemeinden und Einzelpersonen kennt man sonst nur von antidemokratischen, rechtsextremen Gruppierungen. Dass nun eine solche Sprache und Argumentation demokratische Parteien und damit die Mitte unserer Gesellschaft erreicht, muss uns alle alarmieren.
Sämtliche Unterstellungen der Fremdsteuerung, der politischen Einflussnahme aus der Türkei, der politischen Agitation und der Gefährlichkeit unserer Religionsgemeinschaft weisen wir aufs Schärfste zurück. Wir verwehren uns entschieden gegen eine Instrumentalisierung unserer Gemeinden und Mitglieder für zwischenstaatliche Konflikte oder parteipolitische Auseinandersetzung, mit denen die DITIB insgesamt und gerade auch unsere Gemeinden vor Ort nichts zu tun haben.
Allen ist bekannt, dass unsere Imame aus der Türkei kommen. Das ist für uns deshalb wichtig, weil das Religionspräsidium in der Türkei für eine über 500-jährige Glaubens- und Wissenstradition steht, aus der sich unsere religiösen Wahrheiten und Riten speisen. Diese Verbindung beschränkt sich aber auf den Inhalt unserer religiösen Dienste. Als Rechtspersönlichkeiten sind unsere Gemeinden unabhängige Vereine nach deutschem Recht.
Gerade diese Theologie mit seiner Vernunftorientierten Auslegung des Islam war und ist jedoch unser stärkstes Argument, um einen in Deutschland beheimateten Islam voranzubringen. Gleichwohl hat sich die DITIB sehr früh, bereits vor der Deutschen Islamkonferenz mit dem Phänomen veränderter gesellschaftlicher Entwicklungen und dem Bedarf der Institutionalisierung des Islam in Deutschland befasst und die daraus resultierenden Bedarfe an deutschsprachigen Imamen, die das Land kennen und hier beheimatet sind, sowie einer in Deutschland verorteten Theologie erkannt. DITIB hat in den letzten zehn Jahren vieles in diesem Bereich investiert. Das gemeinsame Projekt „Internationaler Studiengang für Theologie“ von DITIB und Diyanet, das seit 2006 besteht, also Jahre vor der Einrichtung der der islamischen Lehrstühlen hier, hat bereits viele Imame aus Deutschland hervorgebracht. 60 dieser jungen Absolventen sind bereits bei DITIB angestellt, Tendenz steigend.
Ebenso unterstützt DITIB die Theologischen Zentren in Deutschland sowohl strukturell als auch inhaltlich. Im Rahmen seiner Mitarbeit in diversen Beiräten und besonders mit seiner DITIB Akademie hat sich DITIB stets für einen Ausbau und eine Stärkung und Diversifizierung der Theologie in Deutschland eingesetzt. Nicht zuletzt konnte dank DITIB nach jahrelangem Disput in Münster ein zweiter Professor berufen und somit der Standort gesichert und in Paderborn ein Seminar für Islamische Theologie neu eingerichtet werden. Der Beitrag der DITIB ist unseren Gesprächspartnern sowohl auf universitärer, als auch auf Landesebene bekannt. Neben Seminarangeboten und Stipendien für Studenten der Theologiezentren unterstützt DITIB diese auch dadurch, dass der Generalsekretär der DITIB an mehreren dieser Standorte selber Lehrveranstaltungen abhält. Dieses ist ein starkes und wichtiges Zeichen für die jungen Absolventen dieser Studiengänge.
Unsere DITIB-Landesverbände in Niedersachsen, Hamburg, Bremen, Hessen, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen sind erst im Rahmen gutachterlicher Prüfungen als verfassungstreue Religionsgemeinschaften im Sinne unseres Grundgesetzes festgestellt worden. In Hessen verantwortet der DITIB-Landesverband als Religionsgemeinschaft im Sinne unseres Grundgesetzes den islamischen Religionsunterricht an öffentlichen Schulen.
Im Bereich der Flüchtlingshilfe ist DITIB Träger von zwei Projekten und gestaltet diese zusammen mit mehreren anderen muslimischen Verbänden. DITIB ist auch hier treibende Kraft und wichtigster Akteur, wie auch im Bereich der Präventions-, Jugend- und Frauenarbeit. Mehrere unserer Jugendgruppen sind bereits in Landes- und Kreisjugendringen aufgenommen oder stehen kurz vor diesem Schritt. Für unsere zukünftigen Vorstände ist uns eine frühe Vernetzung in der Gesellschaft wichtig. Hervorzuheben sind ebenfalls verschiedene Angebote im Rahmen der „Demokratie leben“-Projekte.
Die DITIB-Gemeinden legen Wert darauf, dass sich Frauen und Jugendliche stärker in der Gemeindearbeit engagieren. So ist satzungsrechtlich vorgegeben, dass alle Gemeinden eine Frauen- und Jugendgruppe organisieren und dass deren Vorsitzende geborene Mitglieder des Gemeindevorstandes sind. Zudem soll mindestens ein weiteres Mitglied des Gemeindevorstandes eine Frau sein. Damit sind die DITIB-Gemeinden die einzigen muslimischen Gemeinden, die zwingend weibliche Mitglieder im Moscheevorstand vorschreiben.
Unsere Vereinsvorstände sind aus den Mitgliedern demokratisch gewählte Menschen, die hier in Deutschland leben, immer mehr auch hier geboren und aufgewachsen sind. Als solche Ehrenamtler tragen wir allein die Verantwortung für die Gestaltung und Pflege unseres Vereinslebens. Niemand, weder im Inland, noch im Ausland hat sich in unsere Vereinsarbeit einzumischen. Alle Entscheidungen über unsere Vereinstätigkeit treffen wir im Rahmen unseres Gesamtverbandes, im Zusammenwirken aller Verbandsebenen und vor Ort in Eigenverantwortung und Selbständigkeit. Dies immer wieder in Frage zu stellen und uns vorzuwerfen, Politiker aus der Türkei würden uns vorschreiben, wie wir arbeiten, empfinden wir als Entmündigung unserer Mitglieder und gerade auch der Menschen, die in ehrenamtlichen Diensten sich in ihrer Freizeit für unser Vereins- und Gemeindeleben einsetzen. Wir wollen ernstgenommen und als mündige Bürger unserer Stadtgesellschaft akzeptiert werden.
Auch gibt es in unseren Gemeinden Menschen mit den unterschiedlichsten politischen Sympathien oder Antipathien. Politischer Meinungsstreit hat jedoch nichts in einer Moschee zu suchen. Wir achten stets darauf, dass sich alle Menschen unabhängig von ihrer politischen Meinung bei uns im Gottesdienst wohlfühlen. Wo es zu Konflikten kommt, greifen wir in diesem Sinne ein. Auch in der Gesellschaft ausgetragener politischer Meinungsstreit muss sich stets an den Geboten der Gewaltlosigkeit, des fairen Umgangs und der Mäßigung orientieren. Auch für diese Grundsätze stehen wir mit unserer Vereinsarbeit ein.
Der DITIB Gesamtverband mit allen seinen Untergliederungen auf Landesebene und in den Ortsgemeinden ist eine Religionsgemeinschaft, die sich der allumfassenden Ausübung und Pflege religiöser Aufgaben widmet. Sie steht allen Musliminnen und Muslimen offen. Sie lädt alle Nichtmuslime ein, sich vor Ort ein realistisches Bild von der Gemeindearbeit zu machen. Die DITIB Gemeinden sind ethnisch und sprachlich heterogen. Ihre religiösen Dienste werden von den unterschiedlichsten Muslimen genutzt.
Die DITIB ist seit Anbeginn überparteiisch und neutral. Sie motiviert ihre Mitglieder dazu, als verantwortungsvolle Bürger ihre demokratischen Rechte auszuüben – ohne Ansehung der parteipolitischen Präferenz der einzelnen Mitglieder.
Allein diese Beispiele zeigen, wie groß die Unkenntnis derer ist, die unsere Gemeinden immer wieder mit haltlosen Vorurteilen konfrontieren.
Die tendenziösen Unterstellungen, die uns auch öffentlich immer wieder begegnen, sind in weiten Teilen jene Vorwürfe, die so viele vermeintliche „Islamexperten“ immer wieder wiederholen, die aber dadurch nicht wahrer werden. Es gibt mittlerweile mehr Islamexperten als Muslime in Deutschland. Deshalb sollten alle, denen an einem fairen Austausch und einem konstruktiven Dialog gelegen ist, sich besser einen persönlichen Eindruck von der Arbeit und dem Engagement der DITIB-Gemeinden machen, bevor sie mit angelesenen falschen Behauptungen die Arbeit so vieler ehrenamtlich engagierter Menschen und der unbescholtenen Mitglieder unserer Gemeinden in Verruf bringen. Zu einer solchen offenen und fairen Begegnung laden wir alle Menschen ein.
Die Selbstorganisation von Religionsgemeinschaften, die Auswahl ihres religiösen Personals und die Fragen der Selbstverwaltung sind umfassend durch unser Grundgesetz geschützt, gerade weil sie elementare Aspekte der kollektiven Religionsfreiheit darstellen. Diese verfassungsrechtlich geschützten Entscheidungen unserer Gemeinden als untauglich, schädlich und illegitim zu diffamieren, offenbart ein überaus problematisches Demokratie- und Verfassungsverständnis, das wir entschieden zurückweisen.
Wir bitten alle Interessierten dringend darum, dieser gesellschaftlichen Ausgrenzung muslimischer Gemeinden und insbesondere unserer DITIB-Gemeinden, Einhalt zu gebieten und den Weg der persönlichen Begegnung und des Gespräches zu suchen.