Anlässlich verschiedener religiöser Hochfeste steigt das Bewusstsein dafür, dass alle Menschen eine besondere Verantwortung tragen. Geistig-immaterielle und ethisch-moralische Werte schöpfen aus ihren religiösen und gesellschaftlichen Traditionen und drücken sich auch in Verbundenheit und Solidarität für Bedürftige, Not- und Hungerleidende aus. In Momenten des Innehaltens und der inneren Einkehr werden religiöse Werte bewusster wahrgenommen und erlebt.
Jeder Jahreswechsel ist ebenso ein Moment des Innehaltens und Reflektierens, erinnert uns an bewegende Zeiten und Entwicklungen, persönliche und gesellschaftliche Nöte und Misserfolge inbegriffen.
Rückblickend auf das Jahr 2014 prägten uns insbesondere erschreckende Bilder von kriegerischen Auseinandersetzungen und Konfliktherde – weltweit und vor unserer eigenen Haustür. Konflikte, Übergriffe und Gewalt gemahnen uns immer wieder an unsere Verletzlichkeit als Individuum, Religionsgemeinschaft und Gesellschaft und der daraus resultierenden Verantwortung für das Gemeinwohl.
Als verschiedene Gemeinden und Gemeinschaften, jedoch als Teil einer Gesellschaft sind wir mehr denn je aufgefordert, allzeit gemeinsame Zeichen für Solidarität und Gleichheit gegen Ausgrenzungen und Intoleranz zu setzen, darin Gerechtigkeit und Humanität für alle Menschen walten zu lassen. Wir sind alle, unabhängig von Religion, Kultur und Ethnie sind dazu gemahnt, unseren unverzichtbaren und essenziellen Beitrag zum friedlichen Zusammenleben zu leisten, einander zu helfen und für einander einzustehen - allzeit und allerorts, wo wir als Gläubige gefordert sind.
So bedrückt, gar verängstigt uns die aktuelle Lage in dieser, unseren Heimat. Mit der wachsenden Zahl an Kriegs-, Konflikt- und Krisenherden ist nicht nur die Zahl der weltweit Bedürftigen, sondern auch die der Flüchtlinge gestiegen. So ist es selbstverständlich, dass man dafür weder die menschliche Anteilnahme verweigert, noch materielle Hilfe oder Zuflucht. Denn menschliche Betroffenheit resultiert aus der potentiellen Verletzlichkeit eines jeden Einzelnen, die in Solidarität und Solidarisierung münden muss. Die zu bewältigende Herausforderung, ist nicht allein eine humanitäre, sie ist eine zutiefst menschliche und gesellschaftliche, die ebenfalls Anerkennung und Respekt im Umgang fordert und zukunftsfähig sein muss. Denn soziale oder materielle Ausgrenzung ist weder moralisch, noch geschichtlich oder religiös zu begründen. So hat jede Gesellschaft, jede Religion eine Leidensgeschichte, die mit Verfolgung, Flucht und Migration eng verwoben ist.
Sozialer Sprengstoff entsteht dort, wo diese individuellen, gesellschaftlichen und religiösen Leidensgeschichten jedoch in Vergessenheit geraten und diffuse Zukunfts- und Abstiegsängste, Unzufriedenheit und Wut projiziert werden auf die vermeintlich „Anderen“. Dies erleben wir derzeit im Zusammenhang mit Pegida, die eine vermeintliche „Islamisierung“ heraufbeschwören und dabei alle Randgruppen ins Visier nehmen. Dies sehen wir, wenn Flüchtlingsheime angegriffen, Flüchtlinge angefeindet oder erniedrigt werden. Dies zeigen uns die zunehmenden Zahlen an Moscheeübergriffen nicht nur in Deutschland, sondern ferner aktuell zu den Weihnachtsfeiertagen in der Schweiz, in Schweden und Österreich. Dies melden uns ebenfalls Medien, wenn Muslime auf Grund von sichtbarer Religiosität, Kopftüchern oder Bärten Opfer von Übergriffen werden und Sicherheitsbehörden nur unzureichend Schutz bieten können. Dies fühlen wir, wenn Wohn- und Gotteshäuser brennen und die Angst umgeht.
Dies erleben wir ebenfalls, wenn ohne jede Not und Notwendigkeit ein Politiker vor Islamischen Parteien in Deutschland warnt oder hunderte Politikern ein Burkaverbot auf die Tagesagenda setzen - einfach nur der Medienpräsenz wegen. Wenn mediale Überschriften muslimische Lieder in den Weihnachtsmessen diskutieren, ohne dass es jemand gefordert hätte – einfach nur der Verkaufszahlen wegen. Diese Marginalitäten erzeugen Wahrnehmungen, die nicht der Lebensrealität entsprechen, sondern einem Kalkül entspringen.
So schafft und nährt sich sozialer Sprengstoff, der nur mit sozialem Kitt zu entschärfen ist, Ausgrenzung und Anfeindung, die nur mit gelebter Solidarität zu neutralisieren ist.
Wir glauben, dass wirtschaftliche und soziale Krisen in unserer Gesellschaft durch einen stärkeren Zusammenhalt, durch das Teilen der Sorgen und Nöte und vor allen Dingen durch das Näherrücken überwunden werden können. Interreligiöse und interkulturelle Zusammenarbeit können hier besonders dazu beitragen, dass die Freude und das Glück der Menschen und damit auch die Brüderlichkeit, die Friedfertigkeit und das Miteinander gestärkt werden.
Darin danken wir den Kirchen für die an die Gemeinden und die Öffentlichkeit gerichteten ermutigenden und mahnenden Worte.
Für Haß, Gewalt und Feindschaft ist eine Instrumentalisierung der Religionen nicht akzeptabel, allein „wetteifert miteinander um das Gute“ sagt der heilige Koran (Sure 5, Vers 48 und Sure 3, Vers 114). Die gemeinsame Bestrebung aller Religionen ist es, Liebe, Respekt, Toleranz und Geschwisterlichkeit zu verbreiten. Ebenso ist soziale Verantwortung und gerechte Verteilung materieller und immaterieller Güter nicht nur als religiöses Gebot dringend gefordert, um in unserer Wohlstandsgesellschaft kein einziges Kind, keinen bedürftigen oder alten Menschen zu vernachlässigen.
Ein Sozialstaat hält eine dauerhafte Ausgrenzung und Benachteiligung einzelner Bevölkerungsteile und ein ressentimentgeladenes, kaltes Klima nicht aus. Alle gesellschaftlichen Akteure, Politik, Medien, Religionsgemeinschaften und ebenfalls jeder Einzelne tragen darin Verantwortung für die Gesamtheit. Die große gesamtgesellschaftliche Verantwortung wird sich als Prüfstein daran messen, wie wir heute mit den Schwachen und Schwächsten umgehen und wie die Geschichte auf uns zurückschauen wird. Zu frisch noch, zu schmerzlich sind die Erinnerungen an die gesellschaftlichen Entwicklungen in den 90er Jahren, als das vermeintlich „volle Boot“ kenterte, die hochbeschworene „Ayslantenschwemme“ Deutschland in einen Strudel riss, und sich dieses bedenkliche Klima schlagartig in Mölln und Solingen entlud. Diejenigen nämlich, die heute eine angebliche „Islamisierung“ heraufbeschwören, tummeln sich auch in dem Sammelbecken der diffusen Ausländer- und Türkenfeindlichkeit von damals oder instrumentalisieren sozial Benachteiligte dafür.
Das Erwachen aus dem gesellschaftlichen Albtraum kam erst, als Häuser brannten, Menschen starben. Das wollen wir nie wieder erleben, das darf nie wieder geschehen.
Allein Gerechtigkeit, Ausgewogenheit und Frieden sind wichtige Bestandteile für das Leben eines jeden Menschen. So schließen wir unermüdlich alle Menschen weltweit in unsere Gebete ein, die unter Gewalt und Unrecht leiden müssen. Wir erinnern uns daran, was Allah uns im Koran offenbart hat: dass Er den Zustand eines Volkes nicht ändert, bevor sie nicht selbst das ändern, was in ihren Herzen ist (Sure 13, Vers 11). Dies soll sich in unser aller Handeln niederschlagen.
Wir beten dafür, dass Allah allen Menschen die Kraft und den Mut geben möge, den Hass und die Verachtung aus ihren Herzen zu tilgen und stattdessen Mitgefühl und Hilfsbereitschaft für ihre Mitmenschen zu empfinden.
Und eben deshalb wollen wir Gott in diesen Tagen des Jahreswechsels danken für all die Gaben und die Gelegenheiten, die uns vergönnt waren. Ebenso seien Segen und Heil auf Seine Gesandten. Mögen religiöse und moralisch-ethische Werte die gesamte Menschheit in den unterschiedlichsten Lebenssituationen und Entwicklungen begleiten. Ebenso bitten wir unseren Schöpfer darum, dass Er uns allen die Kraft gebe, in diesem Leben, das für jeden Einzelnen, aber auch für die ganze Gesellschaft nichts anderes als ein Ort der Prüfung ist, die selbige mit größtmöglicher Reife und tugendhaftem Verhalten zu bestehen.
Prof. Dr. Nevzat Yaşar AŞIKOĞLU
Vorstandsvorsitzender
DITIB-Bundesverband