Es ist das in ihnen Gelebte und die von diesen Ereignissen und Erlebnissen zurückbleibende und nachhallende Wirkung, die die Zeitabschnitte voneinander unterscheidet. Zu einem besonderen Zeitabschnitt machen den Monat Ramadan nun die Ereignisse in den ersten Jahren des Islam. Sie waren nicht nur ein Wendepunkt für die Menschheitsgeschichte, sondern verliehen diesem Monat auch seine Bedeutung, mit der er in den darauf folgenden Jahrhunderten eine wichtige Rolle in den muslimischen Gesellschaften spielen und eine besondere Wirkung auf diese ausüben sollte. Der Ramadan ist der ausgewählte unter den Monaten, die segenreichste der Zeitabschnitte, in der die Muslime Einheit und geschwisterliche Verbundenheit demonstrieren, sich wieder dem Umstand bewusst werden, dass sie, arm wie reich, Männer und Frauen alle vor dem erhabenen Schöpfer gleich sind, in der sie ferner ihre Geduld und Mäßigkeit stärken, wieder in die Tiefen der geistig-spirituellen Welt eintauchen und über diese mehr nachdenken Dieser Zeitabschnitt ist uns eine Gelegenheit, uns des Vorhandenen gewahr zu werden, die Lücken zu schließen, der Entschlossenheit Gestalt annehmen zu lassen, uns von nun an dem hinzuwenden, das besser und Wohl bringender ist für uns, unsere Schritte in Richtung eines vollkommenen Menschen zu festigen, wie ihn die islamische Tradition zu beschreiben weiß und vor allen Dingen, um in den Tiefen unserer Herzen das Hochgefühl zu erleben, Diener unseres Herrn zu sein. Der Ramadan ist dem Menschen auch eine Gelegenheit, um sein Herz und seine Augen abzuwenden von den Sorgen weltlicher Belange und der auf das Materielle ausgerichteten Sichtweise und wieder hinzuwenden dem Geistig-Spirituellen, dem Transzendenten, dem Bleibenden, sowie den einfachen aber wichtigen, nachhaltig sinnvollen Grundsätzen und Werten.
Seiner Bedeutung nach reinigt der Ramadan die Sünden der Gläubigen, wie der Herbstregen den Staub von Stock und Stein reinigt. Wie Steine, die unter der Glut der Sonne heiß werden, löschen Hunger und Durst, die die Gläubigen verspüren, wenn sie um Allahs Willen fasten, die Sünden der Gläubigen. Kurz und prägnant hat unser Prophet die Bedeutung des Ramadan in folgenden Worten beschrieben: „Am Anfang bringt der Ramadan Segen, in der Mitte Vergebung und am Schluss Errettung von der Hölle.“ [Ibn Huzeyme, Sahih, III, 191] In diesem Monat vor 1400 Jahren war es, als die Offenbarung des Koran und damit des Wegweisers für unsere Rechtleitung begann. Wir sollten ihn daher im Ramadan in Wort und Bedeutung erneut verinnerlichen und uns mehr mit ihm beschäftigen als sonst. Dazu gehört auch, dass wir uns zum Fasten nicht nur fern halten vom Essen und Trinken, sondern vielmehr fasten mit dem ganzen Körper, mit all unseren Sinnen und Gedanken. Nicht verpassen dürfen wir nun auch die Gelegenheit, den Kronjuwel dieses Monats, die Nacht der Bestimmung (türk. Kadir Gecesi; arab. laylatu’l-qadr) gebührend zu begehen. Am Dienstag, den 10. August werden wir nun das erste Terawih-Gebet verrichten und am folgenden Tag, am 11. August, den ersten Tag im Ramadan fasten und damit alle gemeinschaftlich in den diesjährigen Ramadan eintreten. Möge er uns allen Segen bringen!
Dieser Monat, in dem sich die Muslime in ihren Gottesdiensten vertiefen und das Religiöse in den Vordergrund stellen, ohne sich dabei völlig zurückzuziehen, in dem sie sich ferner ihrer sozialen Verantwortung erneut bewusst und dadurch insgesamt eins werden mit allen Gesellschaftsschichten, ist auch gleichzeitig eine Gelegenheit, um die einzigartigen Prinzipien aufuzuzeigen, bzw. zu leben, die der Islam, der die Menschen weder nach ihrer Religionszugehörigkeit, noch nach ihrem Geschlecht unterscheidet, sondern die Würde des ganzen Menschengeschlechts achtet und wahrt, zum Zusammenleben der Menschen mit ihrer Unterschiedlichkeit aufgestellt hat. Ein Ramadan, der in diesem Sinne begriffen wird, dient dem Kennen lernen, der Verständigung und schließlich dem Zusammenrücken der Menschen.
Wir Muslime in Europa, die wir in unserer Tradition eine verfeinerte Form und Philosophie der moralischen und menschlichen Werte Europas leben, können diese zudem vermengen mit den Prinzipien des Islam, wie sie soeben beschrieben wurden. Daher sollten wir den Ramadan nicht nur als Gelegenheit begreifen, um die Beziehungen unter uns Muslimen zu pflegen, sondern gleichzeitig auch als Gelegenheit, um diejenigen zu all unseren Nachbarn und Freunden, gleich welcher Herkunft sie sind und welcher Religion sie angehören, zu intensivieren und dadurch die gegenseitige Verständigung und den gegenseitigen Respekt zu stärken.
In diesem Sinne wünsche ich allen Muslimen in Deutschland einen gesegneten Ramadan. Möge dieser heilige Monat der Annahme der Bittgebete, sowie der Einheit und dem Zusammenhalt der Muslime den Weg ebnen und der Menschheit Frieden und Eintracht bescheren.
Prof. Dr. Ali DERE